Wer in der vergangenen Saison die Spiele von Borussia Mönchengladbach verfolgt hat, dem dürften die harmlosen und blutleeren Auftritte besonders aus der Rückrunde noch in bester Erinnerung sein. Wie schrecklich war das manchmal mit anzusehen. Dass ausgerechnet ein Achtelfinale der Europameisterschaft dafür herhalten kann, ein wenig Abbitte bei den Gladbacher Borussen zu leisten, kommt unerwartet. Aber im Vergleich zu dem, was die Italiener am Samstag gegen die Schweiz auf den Rasen brachten, waren die Gladbacher Gurkenspiele das reinste Feuerwerk.
Die Leblosigkeit der Italiener ist nur schwer in Worte zu fassen. Konzeptlos, hilflos, ohne Biss und ohne Idee, wie man sich gegen die Schweizer Dominanz zur Wehr setzen könnte - es war erschreckend schwach, was der Titelverteidiger im Berliner Olympiastadion zeigte. Derweil zog die Schweiz, angeführt von Granit Xhaka, ihr Spiel mit hinreißender Selbstsicherheit und Dominanz durch. Das verdient - der italienischen Lethargie zum Trotz - allerhöchsten Respekt. Das 2:0 durch die Tore von Freuler (37.) und Vargas (46.) spiegelt die Überlegenheit der ‘Nati’ nur unzureichend wider. Der Schweiz, bei der Nico Elvedi einmal mehr nur die Zuschauerrolle innehatte, ist noch einiges zuzutrauen.
Das Spiel konnte keine richtige Identität entwickeln
Das gilt auch für den Gastgeber der Europameisterschaft. Die DFB-Elf setzte sich in einem in mehreren Belangen chaotischen Achtelfinale in Dortmund 2:0 gegen Dänemark durch. Aufgrund der Umstände ist eine Beurteilung der Leistung nicht einfach. Es begann schon mit der ersten Schiedsrichterentscheidung, als Schlotterbeck die vermeintlich frühe Führung für Deutschland köpfte. Dass der Referee das eher handelsübliche Blocken von Kimmich als Foul wertete, war zwar nicht gänzlich falsch, aber doch sehr kleinlich.
Diesen Maßstab bei der Zweikampfbeurteilung zog Michael Oliver dann auch größten Teil der Partie durch, was dem Spielfluss eher abträglich war. Nach wirklich starken ersten zwanzig Minuten der DFB-Elf kam Dänemark besser auf und gestaltete das Spiel offen. Die lange Unterbrechung durch das Unwetter war auch nicht förderlich, sodass das Spiel keine richtige Identität entwickeln konnte. Es lebte von Momenten, die mehr oder weniger einfach so passierten. Deutschland machte es nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut.
Der Ärger der Dänen ist verständlich
Die Entscheidung des Bundestrainers, auf Wirtz zu verzichten und dafür Sané zu bringen, blieb ohne Wirkung. Sané mied die Außenposition auffällig offensichtlich und zog stets in die Mitte, wo er sich oftmals festlief. Raum machte es auf der linken Seite erneut sehr ordentlich und seine Flanken brachten Gefahr. Er dürfte Mittelstädt vorerst verdrängt haben. Ein dominantes Ballbesitzspiel konnten die Deutschen nicht aufziehen und so war es letztlich dem VAR-Glück geschuldet, dass das Spiel in Richtung der Nagelsmann-Elf kippte.
Der Ärger der Dänen über die Aberkennung des scheinbaren Führungstores ist verständlich, denn zwar ist die Technik des VAR hinsichtlich der Abseitsentscheidungen schon sehr ausgereift, aber anders als bspw. die Torlinientechnik nicht hundertprozentig zuverlässig. Die Bestimmung des exakten Moments, wo der Ball den Fuß des Passgebers verlässt, ist auf dem aktuellen technischen Stand nicht zweifelsfrei möglich. Und damit bleiben gerade bei solchen Millimeterentscheidungen, wie in diesem Fall, berechtigte Vorbehalte.
Die unsägliche Interpretation der schwammigen Handspielregel
Erst mit einer entsprechenden Sensortechnik in Ball und Schuh wird diese fast unsichtbare, aber eben doch entscheidende Lücke geschlossen werden können. In diesem Fall hat Deutschland profitiert - genauso wie wenige Minuten später von der unsäglichen Interpretation der schwammigen Handspielregel. Es ist absurd, diesen natürlichen Bewegungsablauf mit einem Elfmeter zu bestrafen, nur weil der Ball aus kurzer Distanz die Hand streift. Aber es entspricht der gängigen Regelauslegung und so war der Elfmeterpfiff unumgänglich.
Dass das einem Fußballfreund - egal zu welchem Team er hält - nicht schmecken kann, ist unerheblich. Und man muss sich auch damit abfinden, dass dieses Abstoppen beim Anlauf zum Elfmeter - warum auch immer - regelkonform ist. Havertz übertrieb es zwar nicht so wie Lewandowski, dennoch hat es nichts mehr mit einer flüssigen Bewegung zu tun. In diesem Fall war das Abstoppen aber nicht entscheidend, weil Schmeichel in der richtigen Ecke war und nur deshalb nicht herankam, weil Havertz perfekt geschossen hatte.
Etwas glücklich, aber verdient ins Viertelfinale
Letztlich waren es für Deutschland glückliche, aber eben keine falschen Entscheidungen, die zur 1:0-Führung nach 53 Minuten führten. Da war es schon fast wohltuend, dass der Treffer zum 2:0 in der 68. Minute durch Musiala auf eine simple Art und Weise fiel und aufgrund eines falschen Entschlusses von Dänemarks Torwart möglich wurde. Schmeichel war beim langen Schlag von Schlotterbeck auf Musiala schon am Sechzehner und hätte den Ball wohl erreicht, wenn er es versucht hätte. Das sah wohl auch Musiala so, denn er zögerte kurz und lief erst dann richtig durch, als er bemerkte, dass Schmeichel sich unerwartet zurückzog, statt herauszukommen.
Dass Musiala präzise ins lange Eck traf und somit den Fehler eiskalt ausnutze, war Fußball pur und hier musste keine krumme Regel bemüht oder technische Hilfe in Anspruch genommen werden. Am Ende zieht Deutschland etwas glücklich, aber dennoch verdient ins Viertelfinale ein. Dort ist alles offen, aber es wäre schön, wenn dies am Freitag ohne Gewitter und VAR-Eingriffe vonstattengehen könnte.
von Marc Basten