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Kein Raum für Sorglosigkeit bei Borussia

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Noch viel Gesprächsbedarf - Gerardo Seoane, Steffen Korell und Roland Virkus (Foto: Norbert Jansen - Fohlenfoto)

Mit dem Trainingslager endete das zweite Drittel der Saisonvorbereitung von Borussia Mönchengladbach. Die Bestandsaufnahme macht zwar Hoffnung, doch noch gibt es zu viele Fragezeichen, um wirklich abschätzen zu können, ob die Borussen sich gegenüber dem Vorjahr verbessert haben. Einen Grund für Sorglosigkeit oder gar Euphorie gibt es nicht.

Das Fazit der Woche im Trainingscamp am Tegernsee fällt allseits positiv aus. Die Zaungäste vor Ort sind auf ihre Kosten gekommen, die Mannschaft hat unter bekannt guten Bedingungen trainieren können und dieses Mal hat auch das Wetter mitgespielt. Sowohl Gerardo Seoane als auch Roland Virkus zeigten sich in ihren Statements hochzufrieden mit den Tagen in Rottach-Egern und so blieb die Posse mit dem Testspiel gegen die U21 von Ipswich Town das Einzige, was offensichtlich schiefgelaufen ist. 

Aber natürlich darf man nicht allzu blauäugig auf die Gesamtsituation blicken. Die Aussagen am Ende eines Trainingslagers decken sich von Jahr zu Jahr, stets haben alle gut mitgezogen, ist ein neuer Geist zu spüren und es entwickelt sich etwas innerhalb der Truppe. Das wird dann oftmals recht schnell zur Makulatur, wie die letzte Saison gezeigt hat. Damals wurde eine Aufbruchstimmung erzeugt und durch kompetente Ansagen der neuen Führungsspieler Weigl und Neuhaus untermauert. Was letztlich davon übrig geblieben ist, kann man in der Abschlusstabelle nachlesen. 

Zibung als zusätzliches Rädchen zwischen Mannschaft, Trainern und dem Team ums Team

So muss man in diesen Tagen bei einer Bestandsaufnahme zunächst einmal die traditionelle Folklore ausblenden, welche durch die vielen Anhänger am Tegernsee, aber auch die begleitende Berichterstattung erzeugt wird. Der Blick auf die ersten Wochen der Saisonvorbereitung zeigt, dass sich die Verantwortlichen Gedanken gemacht haben, wie sie künftig mit der Mannschaft arbeiten wollen. Es wird individueller trainiert, die Co-Trainer sind mehr eingebunden und arbeiten eigenständig mit Gruppen aus diversen Mannschaftsteilen.

Mit David Zibung ist ein Mann dazugekommen, der wie ein ‘übergeordneter Co-Trainer’ erscheint und überall zu finden ist. Es ist offensichtlich, dass Zibung ein enger Vertrauter von Gerardo Seoane ist. Die Bezeichnung ‘Sportdirektor Lizenz’ erscheint in Bezug auf das, was der Schweizer macht, wenig aussagekräftig. Was dieses zusätzliche Rädchen zwischen Mannschaft, Trainern und dem Team ums Team letztlich wirklich bewirken kann, ist von außen schwer zu beurteilen. Aber anscheinend hat man in diesem Bereich Verbesserungsbedarf gesehen.

Überraschend viel Klarheit und Selbstverständnis

Viel wichtiger ist jedoch die Frage, wie aus einem Fast-Absteiger eine Mannschaft werden soll, die mit ambitionierter Ausrichtung die Negativentwicklung der letzten Jahre umkehren kann. Mit den drei Neuzugängen Tim Kleindienst, Kevin Stöger und Philipp Sander haben die Verantwortlichen deutlich gemacht, wo der größte Handlungsbedarf bestand. Es wurden drei ‘erwachsene’ Profis hinzugeholt, die ihre Ecken und Kanten haben und die einem Gegner auch mal wehtun. Alle drei strahlen zudem ein beachtliches Selbstbewusstsein aus. 

Das konnte man nicht nur auf dem Trainingsplatz beobachten, sondern spiegelte sich auch in ihren Interviews wider. Da war überraschend viel Klarheit und Selbstverständnis zu hören, was den Eindruck unterstreicht, dass Borussia mit ihnen nicht nur gewisse fußballerische Qualität geholt hat, sondern auch souveräne und gestandene Charaktere. Das wird unweigerlich dazu führen, dass sich die Hierarchie im Team verändern wird - und das ist in jeglicher Hinsicht zu begrüßen. 

Hochkarätige Neuverpflichtungen, die man im richtigen Kontext betrachten muss

Dennoch ist klar, dass diese drei Neuzugänge allein nicht dafür sorgen werden, dass bei Borussia plötzlich alles anders wird. Denn auch sie sind keine ‘Wundermänner’. Stöger hat letztes Jahr mit Bochum noch weniger Punkte geholt als Borussia, Kleindienst im Alter von fast 29 Jahren bisher eine gute Saison in der ersten Liga gespielt und Sander hat noch kein Bundesligaspiel absolviert. Für einen Beinahe-Absteiger wie Gladbach sind dies trotzdem hochkarätige Neuzugänge und auch Verstärkungen, aber man muss das alles im richtigen Kontext betrachten.

Baustellen im Kader sind zudem noch genügend vorhanden. Gerade im Defensivbereich müssten auch ohne Abgänge noch zwei Planstellen besetzt werden. Allein mit Luca Netz und Lukas Ullrich als Linksverteidiger in die Saison zu gehen, müsste man schon fast als verrückt bezeichnen. Besonders unter dem Aspekt, dass Trainer Seoane zu einer Viererabwehrkette tendiert, was dazu führt, dass der Linksverteidiger noch mehr ‘klassisch’ als Verteidiger gefordert sein wird. Und wenngleich man insgesamt wieder aktiver spielen und nicht so tief stehen möchte, benötigt man dort einen geschickten Zweikämpfer. 

Ein gestandener Innenverteidiger mit Abräumerqualitäten muss noch kommen.

In der Innenverteidigung sieht es so aus, als ob Ko Itakura jetzt der klare Abwehrchef werden soll. Die Position neben dem Japaner ist vakant. Elvedi will eigentlich weg, Friedrich wirkt auch in dieser Vorbereitung nicht so, als ob er sich um jeden Preis einen Stammplatz erkämpfen wolle und Chiarodia ist zwar ein ganz feiner Kicker und ein großes Talent, aber auch noch sehr unerfahren. Jantschke und Wöber sind nicht mehr da - ein gestandener Innenverteidiger mit Abräumerqualitäten muss noch kommen. 

Im Mittelfeld ist Borussia zumindest zahlenmäßig überbesetzt und auch wenn man einen defensiven Sechser sehr gut gebrauchen könnte, müsste es neben dem einkalkulierten Abgang von Koné noch einige weitere geben, um hier Platz zu schaffen. In der Offensive sieht man sich gut aufgestellt, zumal Robin Hack ja noch hinzukommt, der verletzungsbedingt bisher nicht mit der Mannschaft trainierte. Doch auch in diesem Bereich gibt es noch einige Fragezeichen. 

Čvančara und auch Ngoumou geben Rätsel auf

Es ist zu erkennen, dass Seoane mit Honorat (rechts) einen echten Flügelspieler bringt, während Plea (links) sich eher nach innen orientiert und als Kombinationsspieler fungiert. Für die Flanken von links müsste der Außenverteidiger (Netz) überlaufen. Gespiegelt wird diese Variante mit Ngoumou (links) als Außen, während Seoane es auf rechts mit Čvančara probierte. Der war jedoch als sich fallenlassender Kombinationsspieler überfordert und wenig überraschend auch nicht der Typ, der sich an der Linie durchsetzt und Flanken schlägt. Es erweckt ein wenig den Eindruck, als ob niemand so wirklich weiß, was man mit Čvančara anfangen soll, da Kleindienst zentral gesetzt sein wird. Und auch Ngoumou gibt nach wie vor Rätsel auf, was seinen mittlerweile überfälligen Durchbruch betrifft.

Auch hinsichtlich der grundsätzlichen Herangehensweise gibt es noch viele Unklarheiten. Es wird nicht damit getan sein, sich vorzunehmen, wieder aktiver zu agieren und mehr Ballbesitz zu haben. Das wollte man zu Beginn der vergangenen Saison auch und mutierte zur Schießbude der Liga. Neben den zu vielen technischen Unzulänglichkeiten am Ball war das kollektive Verteidigen die größte Schwachstelle und sie dürfte es weiterhin sein. Positiv ist zu bemerken, dass die Phrase von der Verteidigung, die vorn beginnt, mit Leben gefüllt wird. Kleindienst ist hier klar hervorzuheben, der als unermüdlicher Anläufer das gegnerische Aufbauspiel wirklich effektiv behindern kann. Aber auch Stöger verfügt über die Bissigkeit, den Gegner zu stressen und zudem die Geschicklichkeit, mit kleinen taktischen Fouls für wertvolle Störungen zu sorgen. Eine Position dahinter ist Sander jemand, der unerschrocken und vehement in der Zweikampfführung ist. 

Kleindienst & Co. werden nicht alles unterbinden können, was an Wellen auf die Abwehr zurollen wird

Mit diesem Zuwachs an Intensität dürfte zumindest ein Schritt hin zur geforderten defensiven Stabilität möglich sein. Aber damit Borussia wirklich weniger billige Gegentore schluckt, muss es in der Defensive die zuvor beschriebenen Verstärkungen geben. Kleindienst & Co. werden nicht alles unterbinden können, was an Wellen auf die Abwehr zurollen wird, wenn man tatsächlich aktiv ausgerichtet spielen will und entsprechend hochstehen wird. Die bisherigen Testspiele brachten insoweit noch keine nennenswerten Erkenntnisse, da Wegberg und die jungen Engländer keine ernsthafte Konkurrenz boten und Kiel offensiv sehr zurückhaltend agierte. 

Zwei Wochen vor dem Pflichtspielauftakt gibt es keinen Raum für Sorglosigkeit bei Borussia. Einige Dinge wurden verändert, die Neuzugänge erwecken den Eindruck, als ob hinter ihrer Verpflichtung ein klarer Plan steht und sie bislang fehlende Qualitäten in die Mannschaft bringen. Was die grundsätzliche fußballerische Ausrichtung und die detaillierte Umsetzung angeht, bleibt noch vieles im Dunkeln und nicht wenig wird auch davon abhängen, was es bis zum Ende der Transferperiode noch an Zu- und Abgängen geben wird. Es ist ein Prozess, der noch vollkommen ergebnisoffen ist. 

 


von Marc Basten
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