EM-Kolumne

Ein kleiner Dämpfer für die überhöhten Erwartungen

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Ein hartes Stück Arbeit (Foto: Lars Baron - Getty Images)

Deutschland spielt im letzten Gruppenspiel gegen die Schweiz 1:1 und während der TV-Übertragung in der ARD fällt mehrfach das Wort ‘Krise’. Man muss sich wirklich schütteln angesichts der simplen Schwarz-Weiß-Malerei in vielen Medien. Die Schweiz zeigte auf, dass sich die DFB-Elf nach wie vor in einer Grauzone befindet. Die EM-Kolumne, Teil 10.

Der Sonntag war ‘Fußballfrei’ - zumindest bis zum Abend. Das war angesichts der vielen Spiele in der letzten Woche eine willkommene Pause, steigerte aber gleichzeitig bei vielen die Erwartung vor dem abschließenden Gruppenspiel zwischen Deutschland und der Schweiz. Die DFB-Elf, mittlerweile von den Sommermärchen-Enthusiasten so hochgejubelt, dass alles andere als ein EM-Titel mit ausschließlich überzeugenden Kantersiegen eine Enttäuschung wäre, würde doch die biedere Schweiz wie selbstverständlich vom Frankfurter-Acker fegen. 

Dass dem nicht so war, kam dann offensichtlich für viele überraschend. Auch für diejenigen, die es eigentlich besser wissen sollten. Tatsächlich war in der ARD während der Übertragung von ‘Krise’ die Rede, was die Performance der DFB-Elf gegen die Nati betraf. Dass die Nagelsmann-Truppe auch gegen die Schweiz strukturierter und reifer agierte, als in den Monaten und Jahren zuvor, wurde dabei unter den Teppich gekehrt. Dass die Schweizer es zudem verdammt gut machten, wurde auch nur mal eben so als Ergänzung eingeschoben. 

Führungstor durch Andrich wird einkassiert

Dabei ist die Geschichte des Spiels schnell erzählt. Es begann alles wie erwartet, Deutschland hatte den Ball und versuchte etwas zu inszenieren gegen abwartende Schweizer. Ein paar Dribblings hier, einige versuchte Tiefenläufe da. So richtig klappte das noch nicht, aber das war kein Grund, unruhig zu werden. Und als Robert Andrich mit seinem fiesen Aufsetzer Yann Sommer ziemlich alt aussehen ließ und zur vermeintlichen Führung traf, schien alles wie vermutet zu laufen. 

Es war ärgerlich, dass der Treffer wegen des Foulspiels von Musiala wieder einkassiert wurde. Der Münchener traf Aebischer leicht am Fuß, aber das passierte erst, nachdem der Schweizer den Ball geklärt hatte. Er war längst wieder auf den Beinen und in Position, als Andrich traf. Man konnte die Aktion von Musiala abpfeifen, aber genauso gut hätte man es laufen lassen können. So wie es der Schiedsrichter auch bei einem Kontakt gegen Havertz im Strafraum zuvor und später in der zweiten Halbzeit bei einem klaren Umreißen gegen Beier tat. 

Kein gutes Timing in der Defensive - Passschärfe und Tempo fehlten

Statt mit einer Führung im Rücken weiterzumachen, mussten die Deutschen kurz darauf einem Rückstand hinterherlaufen. Bei der ersten echten Offensivaktion der Schweizer traf Ndoye (28.). Sowohl Rüdiger als auch Tah fehlte hier das Timing, Neuer war aus kurzer Distanz chancenlos, auch wenn sein Hechtsprung nicht zur Situation passte. Kurz darauf hätte Ndoye sogar erhöhen können, als die Innenverteidiger erneut nicht gut aussahen. Tah sah zudem die zweite Gelbe Karte und wird damit im Achtelfinale fehlen. 

Deutschland berappelte sich, aber die Schweizer arbeiteten weiter sehr aufmerksam. Sie schafften es, Bälle in die Tiefe zu verhindern und sorgten zudem dafür, dass die Deutschen zwischen den Linien kein Tempo aufnehmen konnten. Überhaupt war die fehlende Geschwindigkeit der Hauptkritikpunkt. Die Passschärfe war nicht so gut und mit Ball wurde das Tempo vermehrt verschleppt - gerade Kimmich fiel dabei auf.

Joker Füllkrug sticht

Auch nach der Pause bestimmte Deutschland das Spiel, während die Schweiz weiterhin sehr aufmerksam gegen den Ball arbeitete und Nadelstiche setzen wollte. Die DFB-Elf versuchte es, der Einsatz stimmte und von einer Lethargie war nichts zu sehen. Nagelsmann reagierte, brachte frische Kräfte und veränderte etwas die Statik des Spiels. Gerade Raum auf der linken Seite war mit seinen Flanken gefährlich, auch der junge Beier zeigte gute Ansätze. Dagegen blieb Leroy Sané einmal mehr wirkungslos. Die Schweiz verteidigte weiter sehr aufmerksam und hätte durch einen Distanzschuss von Xhaka sogar beinahe alles klargemacht. Neuer wehrte den Schuss mit einer starken Parade ab und hielt seine Mannschaft im Spiel.

Und das endete noch mit 1:1, weil Joker Füllkrug in der 92. Minute eine gut getimte Raum-Flanke präzise ins lange Eck köpfte. Der späte Ausgleich war mehr als verdient und brachte Deutschland gleichzeitig den Gruppensieg. Zudem dürfte es für das Mannschaftsgefüge wichtig sein, dass man ohne Niederlage durch die Vorrunde gekommen ist und nun auch Spieler von der Bank entscheidend eingegriffen haben. Für den weiteren Turnierverlauf könnte dies noch ein Faktor werden. Doch bis zum EM-Titel ist es noch ein sehr weiter Weg. Das stand zwar schon vor dem Spiel gegen die Schweiz fest, aber dem euphorisierten Fußball-Volk sollte das jetzt etwas klarer sein. 

Elvedi weiter ohne jede Einsatzminute

Die Schweiz, bei der Nico Elvedi auch im dritten Spiel ohne Einsatz blieb, hat sich sehr teuer verkauft und zieht verdient als Gruppenzweiter ins Achtelfinale ein. Hoffnung aufs Achtelfinale können sich auch die Ungarn noch machen, die im Parallelspiel gegen die Schotten durch einen Treffer in der zehnten Minute der Nachspielzeit mit 1:0 siegten. Zuvor war das Spiel lange unterbrochen, weil der Ungar Varga nach einem Zusammenprall behandelt und dann ins Krankenhaus transportiert werden musste. In der Nachspielzeit wurde es richtig wild, beide Teams hatten große Chancen und letztlich traf Csoboth. Die Ungarn könnten mit drei Punkten als einer der besten Gruppendritten weiterkommen, während das Turnier für die Schotten beendet ist.

 

von Marc Basten

 

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