Borussia sollte vermehrt auf eigene Talente setzen. Ein oft geäußerter Wunsch vieler Gladbachfans. Mit dem Porsche FohlenStall hat der VfL die Voraussetzungen dafür auf jeden Fall geschaffen. Seit 2018 sind Plätze für 24 Jungs die fußballerisch ausgebildet und schulisch betreut werden im Internatsgebäude vorhanden. Seit mehr als fünf Jahren spielt der mittlerweile 15-jährige Raphael van Geelkerken bei Borussia und schießt Jahr für Jahr Tore am Fließband. Von seinem Heimatverein RKSV Bekkerveld ist er über die Stationen Fortuna Sittard und Roda JC Kerkrade in Mönchengladbach gelandet. Ein Stürmer, dessen Talent nicht zu übersehen ist. Auch nicht für Guido Friedrich, einem der Scouts von Ajax, das ihn als 10-Jähriger nach Amsterdam locken wollte. Doch daraus wurde nichts. Raphaels Eltern wollten ihn ungern bei einer Gastfamilie unterbringen lassen und ihn auch etwas schützen vor den Unwägbarkeiten der Großstadt. Diese Konstellation nutzte dann Christian Wagner, Borussias Koordinator Jugendscouting U8 bis U13, und lud das Ausnahmetalent zu zwei Probetrainings nach Mönchengladbach ein. Obwohl der Kader zu dem Zeitpunkt eigentlich voll gewesen sei, war man sofort von Raphaels Potenzial überzeugt und holte den jungen Niederländer direkt in die U11.
Dennoch ist der Blondschopf nicht wohnhaft im Ausbildungsgebäude am FohlenCampus. Noch nicht. Vater Peter, Anwalt von Beruf und ‘Privatchauffeur von Raphael’, erklärt: »Das Angebot von Borussia spricht für eine enorme Wertschätzung. In guten Gesprächen mit dem Geschäftsführer des Nachwuchsleistungszentrums Mirko Sandmöller und Nachwuchsdirektor Roland Virkus sind wir jedoch zu dem Entschluss gekommen, dass Raphael noch zu jung ist, um in den FohlenStall zu ziehen. Das hängt auch mit dem etwaigen Druck zusammen, dem er dann ausgesetzt wäre. Er ist zwar auf dem Platz ein richtiges ‘Schwein’, aber ich möchte, dass er außerhalb des Platzes ein normaler Junge bleibt. Der Spaß und seine Unbekümmertheit sollten in diesem Alter im Vordergrund stehen. Ab der U17 dürfte die Zeit für einen so großen Schritt reif sein. Ich lebe getrennt von seiner Mutter, jetzt ist er abwechselnd eine Woche bei ihr und bei mir in Heerlen. Selbstverständlich ist das Internat ein Ziel, keine Frage. Doch das seelische Wohlbefinden meines Sohnes zählt mehr als jeder Euro, den er zunächst verdienen könnte.«
Wie der Junge selbst seine Entwicklung sieht, darüber ist er ausgesprochen klar. »Mein Lieblingsclub war Ajax. Seitdem ich bei Borussia bin, habe ich jedoch nur ein Ziel«, sagt er und zeigt dabei entschlossen in Richtung Stadion. »Als ich dort zum ersten Mal ein Bundesligaspiel sah, war ich hellauf begeistert von der Atmosphäre. Die Fans in der Nordkurve, die Gesänge, die Stimmung, die Lautstärke, das ganze Drumherum. Diese Unterstützung empfand ich als bizarr. Spätestens da träumte ich davon, selber mal auf diesem Platz zu stehen, hier Tore zu erzielen und zu jubeln!« Diesem Traum hat er fast alles untergeordnet, er setzt auf gesunde Bio-Ernährung und verzichtet auf gewisse Verlockungen des jungen Lebens, die sich schnell als eine Falle entpuppen können.
»Mit Randerscheinungen beschäftige ich mich nicht. Mein Fokus liegt auf dem Fußball.« Dass dies keine Floskel ist, davon kann sich jeder überzeugen lassen, der ihm auf seinem Instagram-Account ( @raphaelvangeelkerken ) folgt. In seiner Freizeit legt er nämlich nicht selten diverse Sonderschichten ein, oft ist er aktiv im Krefelder ‘Black Hall Performance Center’ von Athletikcoach Jannik Kirchenkamp. Oder er ist mit Fußballtrainer Dave Schmitz im ‘ICHIEVE Football Dome’ in Kerkrade anzutreffen, wenn er nicht gerade draußen mit dem ehemaligen niederländischen Zehnkampfmeister Eugène Martineau Übungen macht. Alles für das große Ziel, alles um seinen Traum zu verwirklichen.
»Ich möchte mich unbedingt durchsetzen bei Borussia, mich immer weiterentwickeln. Vor Jahren war ich ein purer Rechtsfuß, mittlerweile bin ich beidfüßig dank zielgerichteter Übungsformen. Ständig an mir zu arbeiten, besser sein wollen als die anderen, das macht mir Spaß.« Vater Peter, der unterdessen stolz von der ersten Einladung des KNVB für die U15-Mannschaft von Oranje erzählt, bestätigt: »Er ist tatsächlich ein kleiner Streber und passt vielleicht deshalb auch sehr gut zum hiesigen Fußball.«
Gefragt nach den Unterschieden zwischen der niederländischen und deutschen Art der Herangehensweise sprudeln die Klischees förmlich aus Raphael heraus: »Hier ist die Mentalität ganz anders, vieles ist ernsthafter, der gemeinsame Erfolg steht im Vordergrund, als Team zusammenhalten steht hier an erster Stelle. Und es wird einem immer alles abverlangt. Bist du nach dem Training nicht müde, dann hast du was falsch gemacht. Mir gefällt die Einstellung der Deutschen sowieso. Nicht umsonst sagt man in meiner Heimat, dass sie erst dann definitiv geschlagen sind, wenn sie alle geduscht sind und im abfahrbereiten Bus sitzen. Nie aufgeben, manchmal den inneren Schweinehund überwinden, wie immer der auch aussehen mag.«
Vorbilder für den Torjäger gibt es reichlich. »In unserem Klub sind es Lars Stindl und Alassane Plea. Darüber hinaus Marco van Basten, Dennis Bergkamp, Patrick Kluivert, Zlatan Ibrahimovic, Kun Agüero und vor allem Luis Suárez. Der tut alles für den Sieg, das mag ich.« Und Erling Haaland? »Der ist auch fantastisch, spielt aber definitiv beim falschen Verein!« Das klingt wie Musik in den Ohren für jeden Fan der einzig wahren Borussia. Doch nach so vielen positiven Sätzen über Hingabe, Entschlossenheit und Eifer sind wir gespannt auf die Meinung von Mihai Enache, seinem derzeitigen Coach bei der Borussia.
TF: Herr Enache, was für ein Spieler ist Raphael van Geelkerken?
Enache: Rapha verbindet mehrere Eigenschaften der Stürmertypen. Er ist im Abschluss überwiegend eiskalt, ist technisch versiert, links wie rechts. Er ist nicht nur ein typischer 9-er der in der Box steht, sondern auch ein spielerischer Stürmer. Also auch eine falsche 9, die in den letzten Jahren quasi ‘neu geboren’ wurde.
TF: Diese Vielseitigkeit sieht man während der Trainingsspiele ganz klar.
Enache: Richtig, er bleibt nicht nur fix vorne als Ankerspieler, sondern lässt sich zurückfallen, geht mal auf die Seiten raus und bietet sich überall als mögliche Anspielstation an. Aber auch die Wege nach hinten macht er, das wird von uns als Trainerteam schließlich verlangt. Es ist ja nicht nur das Tore machen, sondern auch die Arbeit gegen den Ball. Die Defensive beginnt vorne, das ist nunmal so.
TF: Und wie verhält er sich als Person?
Enache: Ich durfte ihn schon zwei Spielzeiten trainieren. Er ist menschlich einfach top, hervorragend von der Sozialkompetenz her. Er ist ein unheimlich ehrgeiziger Junge. Manchmal muss man ein bisschen aufpassen, dass es nicht zu verbissen wird. Ehrgeiz ist top, aber nicht dann irgendwann zu viel oder vielleicht zu negativ mit sich ins Gericht gehen. Weniger ist manchmal mehr.
TF: Sie meinen damit sicherlich auch die Extraschichten die er in seiner Freizeit hinlegt. Wie stehen Sie dazu?
Enache: Mehr machen ist schon gut. Allerdings sollte das ganze immer in Absprache mit dem Verein stattfinden, damit eine vernünftige Belastungssteuerung da sein kann. Wenn hier zum Beispiel am Mittwoch und Donnerstag ein sehr intensives Training stattfindet, dann wäre es kontraproduktiv, wenn er am nächsten oder am selben Tag auch viel trainiert. Der richtige Weg ist, wenn das von Vereinsseite entsprechend gesteuert wird. Im Normalfall sollte das ausreichen was hier gemacht wird. In der Zeit als er kurz hintereinander mehrere Verletzungen hatte, war etwas mehr Arbeit gefragt, weil er physisch etwas zurückgeworfen wurde. Deshalb musste er mehr investieren, aber auch da war eine gute Balance erforderlich. Nicht, dass man nur im roten Bereich unterwegs ist, der Körper braucht Zeit zur Regeneration.
TF: Wie sehen Sie seine Zukunft?
Enache: Durchaus sehr, sehr positiv! Wenn er verletzungsfrei bleibt, dann haben wir mit Rapha einen sehr guten Stürmer hier bei Borussia Mönchengladbach, an dem wir noch viel Freude haben werden. Die Zukunft wird viele schöne Seiten mit sich bringen, wenn er weiterhin hart arbeitet und ehrgeizig bleibt. Im Rahmen ehrgeizig, wie vorhin schon gesagt. Die Technik ist vorhanden. Im athletischen Bereich müssen noch gewisse Sachen verbessert werden, da wird unser Athletiktrainer sich drum kümmern. Die Dynamik muss noch dazukommen. Er ist glaube ich nochmal gewachsen, schlaksiger geworden. Der ganze Bewegungsapparat muss sich wieder einpendeln.
TF: Die Phase passt …
Enache: Es ist jetzt die Zeit dafür, da muss er gut anpacken und Gas geben. Es reicht nicht nur eine gute Technik zu haben. Er muss eine Grundlagenausdauer haben um eine hohe Laufintensität zu entwickeln. Wenn diese Dynamik noch dazukommt, gepaart mit der Technik und seiner Kaltschnäuzigkeit die er normalerweise vor dem Tor hat, glaube ich schon, dass er eine schöne Zukunft vor sich hat.
TF: Können Sie es nachvollziehen dass Raphael ein Angebot in den FohlenStall zu ziehen ersteinmal abgelehnt hat?
Enache: Wir haben vor ein paar Jahren hier ein Top-Internat hingestellt wo es den Jungs an nichts fehlt, mit hervorragender Betreuung von Pädagogen, Psychologen und eine Familie, die sich um die Jungs kümmert. Es gibt die Möglichkeit, noch vor der Schule zu trainieren. Es gibt einen Soccercourt um Fußballtennis zu spielen und vieles mehr. Es ist schon High End würde ich sagen. Doch ich kann das nicht gut oder schlecht finden, weil es am Ende des Tages eine Entscheidung ist, die der Junge gemeinsam mit seiner Familie treffen muss. Wir haben ihm diese Möglichkeit geboten.
TF: Die es in ein, zwei Jahren auch noch geben kann …
Enache: Dann bin ich kein richtiger Ansprechpartner mehr. Da gibt es dann andere Personen im Verein, die diese Entscheidung treffen. Aber es ist angeboten worden und wenn die Familie erstmal sagt ‘noch nicht, er ist vielleicht noch nicht in dem richtigen Alter dafür’, muss man das akzeptieren. Es gibt Gründe für und gegen, die man abwägen sollte als Familie. Dafür habe ich Verständnis.
TF: Heutiger Stand der Dinge zusammengefasst?
Enache: Er ist definitiv auf dem richtigen Weg. Die letzten Wochen gefällt er mir im Training immer besser. Ich glaube, dass er dies selber auch merkt. Als Fußballer spürst du ob du vorankommst oder nicht. Nach seiner Verletzung sieht man es ihm an, dass er das gute Gefühl wiederbekommt. Jetzt muss er dranbleiben und noch weiter Gas geben. Er ist ein ganz feiner Kerl mit guten Möglichkeiten, um was aus sich zu machen.
TF: Dabei spielen Sie keine unwichtige Rolle …
Enache: Mein Job ist es, die Jungs auf ihrem Weg bestmöglich zu begleiten, auf die nächste Stufe vorzubereiten, die dann im nächsten Jahr U17 heißt.
TF: Welche Stufe ist die schwierigste?
Enache: Jede Stufe hat ihre eigenen Besonderheiten. Die Jungs haben den Schritt von der U14 in die U15 klar gespürt, das ist schon eine ganz andere Welt. Ab der U17 Bundesliga wird dann eine richtige Schippe draufkommen, ab U19 wird das ganze nochmal deutlich schneller.
TF: Danke für Ihre Zeit, Sie müssen schnell zu Ihren Jungs. Deswegen entlassen wir Sie jetzt …
Enache: Gern geschehen. Aber entlassen? Dann werde ich wohl der erste Trainer sein, der von Journalisten geschasst wurde! (*lacht und ist weg)