40 Jahre Pokaltrauma - Interview

Uli Sude: »Das wird einen ewig begleiten«

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Uli Sude mit Uli Borowka und K.H. Rummenigge im Pokalfinale 1984 (Foto: Kicker-Eisner, Liedel - Imago Images)

Mit einer Mischung aus Nostalgiegefühlen, Stolz, Enttäuschung und etwas Wut blicken wir vierzig Jahre nach der dramatischen Pokal-Endspielniederlage 1984 auf die Begleitumstände jener Saison zurück. Uli Sude, Borussias damaliger Torwart, Elfmeterkiller (hielt in einer Saison fünf Elfmeter in drei Spielen!) und heutiger Scout war einer der Protagonisten und half uns und sich, dieses sportliche Trauma zu bewältigen.

TF: Uli, nun ist es 40 Jahre her, dass Borussia im Elfmeterschießen das DFB-Pokalendspiel gegen die Bayern verlor. Wir hatten lange daran zu knabbern und sehen es als die Mutter aller Niederlagen. Du auch?

Sude: Kann man so sagen. Wenn wir gegen die Bayern spielten, gingen mir immer die Nackenhaare hoch. Das war Rivalität hoch drei. Das Pokalfinale war natürlich ein ganz besonderes Spiel. Ich habe noch ein FohlenEcho mit Reaktionen und Fotos aus dem Spiel. Schau mal, wem ich da die Hand gegeben habe: Helmut Kohl! (Anm. der Redaktion: zeigt auf ein Bild mit dem damaligen Bundeskanzler). Und dieses Ankündigungsplakat, auf dem der gesamte Kader und das Trainerteam mit Silberstift unterschrieben hat. Das sind schöne Erinnerungen an einen nicht ganz so schönen Tag. Dieses Elfmeterschießen …

TF: Du hast als Trainer des SC Verl 1999 die Borussia aus dem Pokal geworfen. Beim Elfmeterkrimi in der ersten Runde, wobei sogar Max Eberl traf. Wie lautete da das Erfolgsrezept im Elfmeterschießen?

Sude: Ich habe den Spielern gesagt, dass wer überzeugt ist, den Ball reinzuhauen, hingehen soll. Ich habe nicht einen benannt, sondern mich zurückgezogen und meinen damaligen Kapitän Roger Schmidt - jetzt Trainer bei Benfica Lissabon - damit beauftragt, die Schützen zu selektieren. Mein Torwart Joswig hielt einen Schuss von Reiter und unsere waren alle drin. Vor dem letzten Elfer sehe ich, dass Arne Friedrich hingeht und fahre meinen Co-Trainer an, warum ausgerechnet der jetzt schießen will. Der Arne drehte sich um und sagte: “Trainer, ruhig! Alles in Ordnung”. Dann läuft er an und haut den Ball oben rechts in den Winkel. 

TF: Das klingt nach purem Selbstvertrauen. 15 Jahre zuvor fehlte es daran offensichtlich. Lothar Matthäus hatte ein paar Wochen zuvor beim 1:1 gegen Frankfurt auf dem Bökelberg in der Meisterschaft schon einen Strafstoß verschossen und Kai-Erik Herlovsen, der im Elfmeterschießen gegen die Bayern bombensicher traf, sagte uns kürzlich, es sei „keine kluge Entscheidung“ von Heynckes gewesen, Lothar schießen zu lassen. 

Sude: Jupp wollte, dass Lothar den Fünften schießt. Der sagte: Wenn überhaupt, dann nehme ich den Ersten. Da dachte ich mir schon, dass es besser wäre, er würde gar keinen schießen. Man hat gesehen, dass er sich ganz und gar nicht wohlfühlt und dann schießt er den Elfmeter auch noch mit der Innenseite. Das hat er nie so gemacht. 

TF: Der bevorstehende Wechsel von Matthäus zu den Bayern hatte schon im Vorfeld für viel Unruhe gesorgt. Es flogen einige Giftpfeile zwischen Gladbach und München hin und her …

Sude: Ja, es gab da einiges an Theater. Lothar hat da leider eine ganze Zeit rumgeeiert und zusammen mit seinem Berater Norbert Pflippen nicht mit offenen Karten gespielt. Es wurde lange gesagt, dass noch kein Vertrag unterschrieben sei, später stellte sich dann etwas anderes heraus. Ich bin mir sicher, heute würde Lothar das anders machen. 

TF: Zunächst lief es im Finale eigentlich gut für euch. Den 1:0-Vorsprung nach einem Kopfballtreffer von Frank Mill konntet ihr bis kurz vor Schluss verteidigen. Du warst in Topform und fast unüberwindbar. Dann klingelte es doch noch im Gehäuse. 

Sude: Ich lenkte einen Schuss von Reinhold Mathy noch an den Innenpfosten, der Ball kommt zu Wolfgang Dremmler und der trifft aus spitzem Winkel. Noch heute ärgere ich mich darüber, wie der Bruno (Anm. d. Redaktion: Hans-Günter Bruns) hochsprang statt den Fuß hinzuhalten. Da war ich etwas sauer auf ihn, weil das Tor zu verhindern war.

TF: In der Verlängerung passierte dann nicht mehr viel und es ging ins Elfmeterschießen. Wie hattest du dich darauf vorbereitet?

Sude: Ich wusste ungefähr, welcher Spieler welche Ecke bevorzugte. Wolfgang Grobe schoss immer vom Torwart gesehen rechts und für mich war klar, dass ich den halte. Ich hatte die Ecke und auch die Hände dran, aber er traf den Ball nicht richtig, sodass dieser aufsprang und drin war. Ich war furchtbar sauer auf mich, weil ich den einfach halten musste. 

TF: Den Schuss von Augenthaler hast du dann pariert, aber den hätten wir auch gehalten …

Sude: Da dachte ich: wenn der so anläuft, der haut einfach drauf, ich bleib’ stehen.

TF: Hast du dir das Elfmeterschießen eigentlich später noch oft angeschaut?

Sude: Nein, tatsächlich habe ich es gar nicht mehr gesehen. 

TF: Dann wird es Zeit. Auf YouTube ist es nur ein paar Klicks entfernt. Also los …

Sude: Schau, wie der Lothar da hingeht, mit welcher Körperhaltung. Du kannst immer etwas anderes erzählen, aber deine Körpersprache verrät dich. Er war mit den Nerven am Ende. So ist er sonst nie angelaufen.

TF: Extra hat er den aber nicht drüber geschossen …

Sude: Nein, natürlich nicht. Er war einfach nicht bereit für das alles. Oh Mann - ich möchte das eigentlich gar nicht weiter anschauen. 

TF: Da musst du jetzt durch, Uli! Traumabewältigung nennt man so was.

Sude (kurz nachdem er sieht, dass Norbert Ringels den Pfosten trifft): Jetzt kann ich es mir echt nicht mehr ansehen. Das ist der letzte Elfmeter. Das tut so weh. Und dann noch dieser Rummenigge … Mach weg!

TF: Okay, lassen wir es. Der Stachel der Enttäuschung bleibt ohnehin. Wie sah es in der Kabine aus?

Sude: Da herrschte Leere. Dann gehst du ins Entmüdungsbecken, siehst Sektflaschen stehen. Charly Stock hatte das wunderschön vorbereitet für eine Siegesfeier, mit allem Drum und Dran. Ein paar dieser Flaschen haben wir aus Frust leer getrunken. Wir fuhren dann mit dem Bus von Frankfurt zur ‚Traube‘ in Korschenbroich. Bei einem Pokalsieg hätten wir eine Prämie von 15.000 D-Mark bekommen. Helmut Grashoff sagte dann in seiner Rede, dass wir, auch weil wir eine gute Saison gespielt hatten, dennoch die halbe Prämie erhalten werden. Euphorie herrschte keine, es war ein kleiner Trostpreis. Aber halt kein Titel.

TF: Wir, das geben wir zu, haben damals Rotz und Wasser geheult. Bei dir sind die Tränen schon im Halbfinale geflossen. Weißt du, worauf wir hinaus wollen?

Sude: Na klar, die Folgen der Tränengasbombe. Ein Bremer Fan warf sie aufs Spielfeld. Ich habe zunächst gedacht, es wäre eine ‚normale‘ Rauchbombe und habe die ins Tor geschmissen. Es wurde wieder angepfiffen und plötzlich brannten meine Augen. Aber nicht nur meine, auch Wolfgang Sidka und Uwe Rahn waren betroffen, die waren in den Rauch gerannt. Das Spiel wurde minutenlang unterbrochen. Zudem gab es noch gegen Ende der Verlängerung einen Zusammenprall mit Frank Neubarth von Werder, mir und Uwe Rahn, der einen offenen Nasenbeinbruch erlitt. Plötzlich sah ich nur einen Punkt und dachte mir: Das muss der Ball sein. Da schlage ich wie mit einer Fliegenklatsche und hampele herum. 

TF: Weil?

Sude: Es stellte sich später heraus, dass ich eine Gehirnerschütterung hatte. Ich hatte an der Augenbraue eine Wunde, die vom Bremer Mannschaftsarzt getackert wurde. Unser Dr. Alfred Gerhards hatte so einen Tacker damals nicht. Das war schon bemerkenswert von Werder, einem Gegenspieler medizinisch zu helfen. Der Arzt hat zwei Tage später sogar noch angerufen und sich erkundigt, wie es mir geht.

TF: Aber du hast alles gut überstanden? 

Sude: Ja, aber kurz nach dem Schlusspfiff wurde mir schlecht. Es herrschte große Aufregung wegen des offenen Bruchs von Uwe Rahn und unser Arzt sagte mir, ich soll kurz in den Saunaraum und mich da hinlegen, er würde sich gleich um mich kümmern. Bei mir drehte sich alles und dann schlief ich ein. Als ich aufwachte, war es stockdunkel und da bekam ich echt Panik. Dann sah ich das Schild ‘Notausgang’, bin raus und bemerkte, dass in der Geschäftsstelle noch Licht brannte. Es war halb 3 und der Doc hatte mich in der ganzen Hektik schlichtweg vergessen. Aber zum Glück ist noch alles ‘jut jejange’, wie man immer sagt. Heute kann ich darüber lachen. 

TF: War das verlorene Pokalfinale die bitterste Niederlage deiner Karriere?

Sude: Ja, wobei ich das 0:4 in Madrid im Jahr darauf im UEFA-Cup als ähnlich schlimm empfunden habe. Danach war ich ziemlich fertig, habe mir nichts angeschaut und keine Kritiken gelesen. Ich wollte das einfach verdrängen. Vor ein paar Jahren habe ich mit meiner Lebensgefährtin eine Reise nach Madrid gemacht und da war auch eine Tour im Bernabeu-Stadion dabei. Da konnte man sich im Real-Museum durch die großen Spiele klicken und ich habe da erstmals die Tore gesehen. Und erst ab dem Tag habe ich meinen inneren Seelenfrieden gefunden. Und doch ist alles, genau wie beim Pokalfinale, auch nach vierzig Jahren noch sehr präsent. Solche prägenden Ereignisse werden einen wohl ewig begleiten. 

 

von Jan van Leeuwen

 

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