In den letzten Tagen wurde man in Mönchengladbach wieder mit Namen konfrontiert, die eigentlich in der Ahnengalerie verschwunden waren. Martin Stranzl, Granit Xhaka, aber auch Havard Nordtveit und Roel Brouwers wurden des Öfteren genannt, wenn es darum ging, die aktuelle Krisensituation bei Borussia zu analysieren.
Sportdirektor Max Eberl vermisst einen Granit Xhaka, der in kritischen Phasen eines Spiels Verantwortung übernimmt und die anderen mitzieht. Auch einen Martin Stranzl, der den Laden zusammenhält und auf und neben dem Platz die richtigen Ansagen macht, wenn Dinge zu entgleiten drohen. Der Abgang dieser Charakterköpfe im letzten Sommer scheint schwer zu wiegen, weil die Lücken nicht so schnell geschlossen werden können, wie erhofft.
»Es entwickelt sich gerade«, sagt André Schubert. Er schränkt aber auch ein: »Das ist ein Prozess, das geht nicht von heute auf morgen«. Der Trainer beförderte vor der Saison Lars Stindl zum Kapitän und hoffte auf einen ähnlichen Effekt wie vor einem Jahr bei Granit Xhaka. Den Schweizer pushte das Amt, er übernahm Verantwortung. In der Rückrunde spielte Xhaka erstmals in seiner Karriere erwachsen (keine Entgleisungen, kein Platzverweis und so gut wie keine dummen Fouls). Er riss sich wirklich zusammen, was offensichtlich nicht seinem Naturell entsprach, wie Xhakas erstes halbes Jahr in London zeigt.
Lars Stindl war ohne Kapitänsbinde ein wichtiger Spieler und das ist er im neuen Amt immer noch. Aber in seiner Ausstrahlung hat er sich nicht sehr verändert. Er ist fleißig, spielt intelligenten Fußball und kann in einem Spiel den Unterschied ausmachen. Aber er ist nicht der Anführer, an dem sich andere aufrichten.
Das gilt auch für Oscar Wendt, der als erfahrener Spieler vermehrt in die Verantwortung genommen werden soll. Wendt ist schon ein Typ und sein Wort hat in der Kabine durchaus Gewicht. Aber auf dem Platz wirkt er immer so cool, als ob ihn das Ganze nichts anginge. Ein Boss ist Wendt jedenfalls nicht.
Yann Sommer wird ebenso genannt, wenn über Gladbacher Spieler mit Führungsanspruch gesprochen wird. Für einen Torwart ist es während eines Spiels natürlich kaum möglich, auf die Feldspieler einzuwirken. Bei ihm zählt mehr die Ansprache in der Kabine, aber auch, dass er den Kollegen auf dem Platz vermittelt, dass da ein sicherer Rückhalt hinter ihnen steht, der ihnen im Fall der Fälle den Hintern retten kann.
Doch Sommer hat seit Monaten zu viel mit sich selbst zu tun, als dass er sich ums Gesamtgefüge kümmern könnte. Die Souveränität seiner ersten Spielzeit in Gladbach war schon im letzten Jahr nicht mehr so ausgeprägt und sie hat in dieser Saison nochmals nachgelassen. Mittlerweile halten alle wieder die Luft an, wenn ein Ball in den Gladbacher Strafraum segelt. Ein Gefühl, das man seit 2011, als ter Stegen spielte und anschließend von Sommer fast nahtlos abgelöst wurde, nicht mehr kannte. Heute ist es allgegenwärtig.
Nüchtern betrachtet hat Borussia ein Torwartproblem, auch wenn es aktuell genug Baustellen gibt, so dass nicht noch eine weitere aufgemacht werden muss. Aber als Führungsspieler hilft Yann Sommer momentan nicht wirklich weiter.
Vom sportlichen Standing her wäre natürlich Raffael dafür prädestiniert, aber der Brasilianer ist anerkanntermaßen nicht der Typ dazu. In eine solche Rolle will ihn bei Borussia vernünftigerweise auch niemand drängen.
Hinzu kommt, dass sich durch die vielen Verschiebungen von Spiel zu Spiel kaum ein wirkliches Gerüst bilden konnte. Spieler wie Jantschke oder Hahn müssen sich ständig an neue Aufgabenstellungen gewöhnen und haben kaum Gelegenheit, nach rechts oder links zu schauen. Andreas Christensen, trotz seiner Jugend ein absoluter Klassespieler, stößt an seine Grenzen, wenn er die Abwehr organisieren muss. Das liegt vor allem daran, dass seine Nebenleute ständig wechseln und es nur wenige feste Strukturen gibt.
Bei Jannik Vestergaard und Tobias Strobl war es klar, dass sie nicht von Anfang an zu Anführern mutieren werden. Vestergaard gewinnt gerade an Profil, Strobl hat sich mit seinen Leistungen ein gewisses Standing erarbeitet, hängt aber zuletzt etwas durch. Und Christoph Kramer konnte nach gutem Start die Erwartungen nicht mehr konstant erfüllen.
So kommt es, dass sowohl Trainer als auch Sportdirektor öffentlich an der Mischung im Kader zweifeln. »Vielleicht haben wir das ein wenig unterschätzt«, sagt Schubert im Hinblick auf den Umbruch innerhalb des Teams. Nach dem Spiel gegen Wolfsburg soll alles auf den Kopf gestellt und hinterfragt werden. Mit dem Ergebnis, dass ein neuer Charakterkopf dazu geholt werden muss?
»Das kann schon die Erkenntnis sein, dass man sagt, man braucht einen speziellen Typen, der auch mal einen Reizpunkt setzt«, sagt Schubert. Der Coach gibt zu, dass diese Reizpunkte fehlen. »Wir sind eine unheimlich liebe und nette Mannschaft, es sind brave Charaktere«, so Schubert. »Das ist gut, aber manchmal muss man auf dem Platz auch ein Schweinehund sein«.
Perspektivisch gesehen wird in der Winterpause einiges aufzuarbeiten und zu korrigieren sein. Für die Partien gegen Augsburg und Wolfsburg bleibt nur die Hoffnung, dass die braven Borussen irgendwie den Schweinehund wecken können, um in beiden Spielen zu punkten.