Es ist eine Schocknachricht, keine Frage. Der Rücktritt von Lucien Favre ist keine im Fußballgeschäft typische Reaktion eines Trainers, der seinem bevorstehenden Rausschmiss zuvorkommen wollte. Trotz des erbärmlichen Saisonstarts gab es nicht eine ernsthafte Stimme, die Lucien Favre in Mönchengladbach angezählt hätte.
Noch am Samstagabend in Köln wollte Favre auf der Rückfahrt eine DVD schauen, um den nächsten Gegner Augsburg zu analysieren. Am Sonntagmorgen verkündete er bei Borussia plötzlich seinen Rücktrittswunsch. Die Verantwortlichen widersetzten sich vehement, sprachen ihm auch intern nochmals das 100%ige Vertrauen aus.
Die Pattsituation beendete Favre mit seinem Gang an die Öffentlichkeit, indem er eine Rücktrittserklärung verbreiten ließ. Ein Vorgehen, das die Borussia kalt erwischte und regelrecht schockierte.
Nun muss man wissen, dass Favre und Borussia zwar ein überaus erfolgreiches, aber höchst vielschichtiges Verhältnis pflegen. Lucien Favre ist ein absoluter Fußballverrückter, und das im wahrsten Sinn des Wortes. Seine Besessenheit, seine Art, den Fußball zu sezieren und zu interpretieren, sprengt die Umschreibung dessen, was als ›normal‹ zu bezeichnen ist.
Rein fachlich gesehen gibt es im Profifußball kaum jemanden, der diesem Mann das Wasser reichen kann. Deshalb ist sein Verlust für Borussia Mönchengladbach, vor allem jetzt in dieser Situation, eine regelrechte Katastrophe. Es ist der Super-GAU.
Andererseits ist Lucien Favre menschlich ein äußerst komplizierter Zeitgenosse. Diese Erkenntnis ist nicht neu, Weggefährten auf allen Stationen bezeichnen den Schweizer mindestens als »schwierig«. Und auch in Mönchengladbach rumorte es viel mehr, als es die sportlich so erfolgreiche Situation für Außenstehende erahnen ließ. Favre hat in den vergangenen Jahren mehr als einmal mit Rücktritt gedroht oder zumindest kokettiert, hat im Stile einer ›Drama-Queen‹ gejammert und seinen Unterstützer Max Eberl diffamiert.
Nur der sportlich so produktiven Zusammenarbeit war es geschuldet, dass man bei Borussia auf die Zähne gebissen und Favre vor der ›Nach-Reus-Saison‹ nicht vor die Tür gesetzt hat. Öffentlich wäre dies nicht zu vermitteln gewesen.
Stattdessen ging man den Weg, bei Lucien Favre Überzeugungsarbeit zu leisten. Ihn zu überzeugen, dass in Gladbach niemand darauf aus ist, ihm Fallen zu stellen, ihm zu schaden und ihm im Misserfolgsfall als Bauernopfer hinzustellen. Sondern dass er im Gegenteil alle Unterstützung erhält, die man ihm geben kann. Das fruchtete, zumindest oberflächlich. Mit Max Eberl entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis, was angesichts der Vorgeschichte kaum für möglich gehalten wurde. Auch wenn Favre immer mal wieder seine ›starken Momente‹ hatte, so schien er Zutrauen zu Borussia und den handelnden Personen gefasst zu haben.
Daraus wurde eine gemeinsame Erfolgsstory, die im Sommer mit dem vorläufigen Höhepunkt der Champions League Qualifikation endete. Das ›vorläufig‹ kann man nun getrost streichen, denn zum einen ist die Geschichte von Favre und Borussia vorbei, zum anderen wird auch Borussia auf absehbare Zeit einen solchen Höhepunkt nicht mehr erleben.
Nun also hat Favre, der ›ewige Zweifler und Zauderer‹, für sich das Kapitel Borussia Mönchengladbach beendet. Es ist eine Entscheidung, die ihm ohne Zweifel freisteht. Wenn er tatsächlich das Gefühl hat, nicht mehr der perfekte Trainer zu sein, muss er Konsequenzen ziehen. Der Zeitpunkt, mitten in der englischen Woche, ohne internen und externen Druck und nach einem Spiel, wo trotz der Niederlage Licht am Ende des Tunnels erkennbar war, sowie die Art und Weise des Vollzugs sind allerdings beschämend. Dieser Alleingang ist schlichtweg unverantwortlich gegenüber Borussia.
Lucien Favre gebührt aller Dank und Respekt für das, was er seit Februar 2011 geleistet hat. Seinen Platz in den Geschichtsbüchern hat er verdientermaßen sicher und den Film seiner großartigen Erfolgsstory kann der DVD-Freak als Endlosschleife genießen. Sein letzter Akt mag ein ›typischer Favre‹ sein, doch es ist ein mehr als unwürdiges Finale.
Am Ende gibt es nur Verlierer. Borussia Mönchengladbach kann einem leidtun. Lucien Favre auch.