Die nackten Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Kein Tor in fünf Bundesligaspielen, somit logischerweise auch kein Sieg. Mit nur zwölf Punkten nach zehn Spieltagen steht Borussia so schlecht da wie seit der Saison 2010/2011 nicht mehr. Und wem das noch nicht deutlich genug ist, der erhält noch einen Wert obendrauf: Trotz der fünf Pleiten zu Beginn der letzten Saison stand Borussia nach zehn Spieltagen drei Punkte besser da, als in diesem Jahr.
Es gibt also nichts zu beschönigen in Mönchengladbach. Die Borussia steckt in der Krise. Wie immer im Fußball, ergeben mehrere Einzelteile ein solches Gesamtbild. In den letzten Wochen wurde vieles thematisiert: Die Verletzungen von Schlüsselspielern, die Dreifachbelastung und die weggebrochenen Möglichkeiten, die Belastung durch gezielte Rotation aufzufangen.
Durch die Schieflage in der Bundesliga rückt vor allem Trainer André Schubert in den Fokus. Den branchenüblichen Reflex, sofort den Trainer unter Beschuss zu nehmen, kennt man in Mönchengladbach eigentlich gar nicht mehr. Daher überrascht die Vehemenz, mit der teilweise auf Schubert regelrecht eingedroschen wird. Die Forderung einiger Kommentatoren, aber vor allem einer nicht unerheblichen Anzahl erboster Fans ist deutlich: Schubert raus!
Was ist dran an dieser Forderung? Ist es einfach nur aufgeregtes Geschrei realitätsferner Nörgler oder können Schubert auch objektiv Versäumnisse angekreidet werden? Und sind diese so gravierend, dass tatsächlich ein Rauswurf unumgänglich ist, oder spätestens mit einer Derbyniederlage wird?
André Schubert hatte mit Trainingsbeginn seinen Kader beisammen und meisterte die erste Herausforderung: Das Team war zum Pflichtspielauftakt auf der Höhe, qualifizierte sich für die Champions League, erfüllte die Pflichtaufgabe im Pokal und besiegte Leverkusen am ersten Spieltag in der Liga. Die Hoffnungen auf einen positiven Saisonverlauf waren groß, schließlich wurde von allen Seiten berechtigterweise festgestellt, dass Borussia über den qualitativ stärksten Kader der Neuzeit verfügt.
Der zweite Pflichtspielblock bis zur nächsten Länderspielpause verlief schon relativ durchwachsen, der mit dem Spiel in Berlin beendete dritte Block führte zur gegenwärtigen Krise in der Bundesliga. Die Tendenz ist deutlich: Nach einem idealen Start geht es kontinuierlich bergab.
Welchen Anteil hat André Schubert daran? Nicht seriös zu beantworten ist dies in Bezug auf die Ausfälle durch Verletzungen. Wobei auffällig ist, dass bis auf Hazard (Schlag aufs Knie) und Herrmann letzten Freitag in Berlin keine ›Unfälle‹, sondern diverse Muskelverletzungen die Ursache sind. Bei Borussia gab es in den vergangenen Jahren, auch in den beiden Spielzeiten mit der Dreifachbelastung in der Euro-League, so gut wie keine Muskelverletzungen. Damals galt die Belastungssteuerung durch Trainer Favre in enger Abstimmung mit dem Funktionsteam als Garant dafür. Vor allem die Tatsache, dass dies über viele Jahre funktionierte, spricht für mehr als nur reines Glück.
Im Umkehrschluss heißt das, dass die vielen aktuellen Muskelverletzungen mehr als einfach nur Pech sind. Hier muss sicherlich die Zusammenarbeit zwischen André Schubert, den Fitnesstrainern, Ärzten und Physiotherapeuten zumindest mit einem Fragezeichen versehen werden.
Weitaus eindeutiger ist Schuberts Anteil an der fehlenden Identität des Gladbacher Spiels. Der Trainer hat sich auf die Fahne geschrieben, mit dem Team Lösungen für die verschiedensten Anforderungen zu erarbeiten. Dieser Ansatz ist zunächst einmal zu begrüßen, weil er eine Weiterentwicklung bedeuten würde.
Hans Meyer schwor in seiner ersten Amtszeit in Gladbach auf ein 4-3-3, weil es für die Mannschaft am einfachsten war, in diesem System Aufgaben zu verstehen und zu erfüllen. Er wusste, dass er die Spieler ansonsten überfordern würde. Meyer musste mit Profis der Kategorie Pletsch & Co arbeiten, aber auch eine Dekade später und deutlich besseren Fußballern im Aufgebot beließ es mit Lucien Favre der nächste Erfolgstrainer bei einer festen Grundordnung. Favre passte sein 4-4-2 allenfalls in Nuancen an, aber einen kompletten Stilwechsel gab es nicht, schon gar nicht innerhalb eines Spiels.
André Schubert dagegen setzt auf Flexibilität. Je nach Gegner stellt er auf und ein, während einer Partie korrigiert er abhängig vom Spielverlauf. Als Beobachter gerät man ganz gewaltig ins Schleudern, um die ständigen Anpassungen und Rollenverteilungen nachzuvollziehen. Dass ein Spieler innerhalb von 90 Minuten auf drei Positionen agiert, ist keine Seltenheit.
Offensichtlich hat Schubert sich und seine Spieler überschätzt, solch essentielle Veränderungen mal eben im laufenden (Extrem-)Spielbetrieb vorzunehmen. Automatismen gibt es nur wenige, jeder Spieler ist so mit sich selbst und seinen diversen Aufgaben beschäftigt, dass er kaum ein Auge auf das Gesamtbild richten kann. Das Ergebnis sind elf - immer noch individuell gute - Einzelspieler, die als Team überfordert sind.
Nach zehn Spielen den Rauswurf des Trainers zu fordern, ist gleichwohl reine Panikmache. André Schubert hat in seinen 14 Monaten in Gladbach durchaus nachgewiesen, Situationen richtig einzuschätzen und entsprechend zu reagieren. Es spricht nichts dagegen, dass er auch diesmal die richtigen Schlüsse ziehen wird und erkennt, dass er sich in seinem gut gemeinten Eifer etwas vergaloppiert hat.
Borussia benötigt wieder eine klare Struktur, an der sich die Mannschaft orientieren kann. Das ist der Ansatz, den André Schubert dringend umsetzen muss. Erst wenn sich abzeichnen sollte, dass er die Sache tatsächlich nicht in den Griff bekommt, wird eine Trainerdiskussion unumgänglich.
André Schubert ist sicher kein ›Menschenfänger‹, dem die Sympathien zufliegen. Er ist schwer zu durchschauen, auch für diejenigen, die mehr mit ihm zu tun haben. Ganz unbestritten ist er jedoch ein Fußballfachmann und alles andere als ein Dummschwätzer oder Blender. Er muss jetzt die richtigen Schlüsse ziehen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Das gehört zu einem guten Trainer, der sich und eine Mannschaft weiterentwickeln will. Die Chance dazu sollte man Schubert einräumen - ohne ihm gleich die Pistole auf die Brust zu setzen.