In der vergangenen Sommerpause schien die Sache klar. Patrick Herrmann, neben Tony Jantschke der letzte Held der 2011er Relegationsmannschaft, stand vor dem Aus bei Borussia. Die Papiere hatte ihm Dieter Hecking quasi schon in die Hand gedrückt und ihm klargemacht, dass seine Aussichten auf Einsatzzeiten eher gering sein würden. Doch dann verletzte sich Ibo Traoré beim Vorbereitungsspiel in Southampton nach wenigen Minuten und Herrmann kam zu einem ungeplant langen Einsatz. Er nutzte die Chance eindrucksvoll und zeigte, dass er doch noch eine Rolle bei seinem Herzensverein spielen kann. Etwas später verkündeten beide Seiten feierlich, dass sich alle Wechselpläne erledigt hätten und Herrmann bleibt, wo er hingehört: bei Borussia.
Und tatsächlich ging die Saison gut los für den 28-Jährigen. An den ersten sieben Spieltagen stand er sechsmal auf dem Platz. In Wolfsburg beim 2:2, wo er ein Tor für Hazard ganz stark vorbereitete, ging er sogar über die volle Distanz. Untypisch für einen, der eigentlich als ‘Auswechselkönig’ gilt. Gegen Schalke am dritten Spieltag erzielte er nach seiner Einwechslung den erlösenden Treffer zum 2:0, bei den Bayern rundete er mit seinem Tor zum 3:0 den höchsten Gladbacher Sieg in München ab. Doch nach dem 9. Spieltag, als er in Freiburg für den angeschlagenen Plea eingewechselt wurde, wendete sich das Blatt grundlegend. Von Ende Oktober bis Mitte Dezember war Herrmann außen vor und spielte keine Minute. Dreimal schaffte er es überhaupt nicht in den 18er-Kader, dreimal blieb er 90 Minuten als Zuschauer auf der Bank.
Nach der Systemumstellung war Herrmann erste Wahl
Auch wenn er vor Weihnachten in Dortmund in der Startelf stand, war der Verlauf der Hinrunde für Herrmann enttäuschend. Wieder wurde an vielen Stellen laut über eine Veränderung nachgedacht. Der damalige Stuttgarter Sportdirektor Reschke fragte bei Max Eberl nach, doch da weder die Borussen daran interessiert waren, Herrmann für kleines Geld ziehen zu lassen, noch der Spieler selber einen Wechsel nachhaltig forcierte, blieb letztlich alles wie gehabt. Herrmann würde das letzte halbe Jahr bis zum Ende seines Vertrages in Mönchengladbach bleiben und auf seine Chance warten. In den ersten vier Partien des neuen Jahres wurde er eingewechselt, beim Auswärtsspiel in Frankfurt stand er erstmals in 2019 in der Anfangsformation. Er lieferte gute Argumente dafür, dass es nicht sein letzter Einsatz von Beginn an sein sollte (2,5). In der Woche darauf gegen Wolfsburg begann er wieder, gegen die Bayern blieb er auf der Bank und in den nächsten drei Partien kam er jeweils zu Kurzeinsätzen, wobei er in Düsseldorf sogar noch vor der Pause für Hazard eingewechselt wurde.
Mit der Umstellung auf das 3-5-2 System am 28. Spieltag änderte sich auch die Wertschätzung für Herrmann nachhaltig. Als Mann für die rechte Außenbahn, der sowohl offensiv Akzente setzt, als auch unermüdlich nach hinten arbeitet, war er erste Wahl. In fünf Spielen in Folge stand er in der Anfangself, ehe er sich gegen Hoffenheim eine Oberschenkelzerrung zuzog, zur Pause ausgewechselt wurde und das Auswärtsspiel in Nürnberg verletzt verpasste. Beim Saisonfinale gegen Dortmund wurde er in der Schlussviertelstunde eingewechselt. Bereits Anfang Mai hatten Borussia und Herrmann verkündet, dass man die Zusammenarbeit weiter fortsetzen werde. Herrmann unterschrieb einen neuen Vertrag mit einer Laufzeit bis 30.06.2022 und sprach von einer Herzensangelegenheit.
Die Vertragsverlängerung spricht dafür, dass man bei Borussia mit Herrmann noch etwas vorhat
10 Startelfeinsätze, 14 Einwechslungen, 6 Kadernominierungen ohne Einsatz, 3 Tore und 2 Vorbereitungen lautet die Saisonbilanz für Patrick Herrmann. Nimmt man den neuen Vertrag mit hinzu, so ist es ein ordentliches Ergebnis für einen, der eigentlich schon abgeschrieben war. Die Vertragsverlängerung spricht zudem dafür, dass man bei Borussia mit Herrmann noch etwas vorhat. Der neue Trainer Marco Rose war involviert und wollte Herrmann gerne behalten, auch wenn es die Planstelle des Flügelstürmers in Roses bevorzugutem System nicht gibt.
Das heißt, dass Rose gewisse Vorstellungen hat, wie er ihn einsetzen kann. In den ersten Wochen der Vorbereitung sieht es so aus, als ob Herrmann die ‘Umschulung’ als eine von zwei zentralen Spitzen anständig bewältigt. Herrmann bringt Bissigkeit, Leidenschaft und ein gesundes Tempo mit, so dass er objektiv ins Anforderungsprofil passt. Wie es dann letztlich umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten. In jedem Fall hat Herrmann mit langem Atem einen Schritt zurück in die Zukunft gemacht. Hoffentlich in eine erfolgreiche.
von Marc Basten