TORfabrik-Interview mit Christoph Kramer

Kramer: »Hecking ist gerecht und ehrlich«

Created by von Marc Basten, Niklas Kirchhofer und Nadine Basten
Ganz entspannt - Christoph Kramer beim TF-Interview (Foto: TORfabrik.de)

Ganz entspannt - Christoph Kramer beim TF-Interview (Foto: TORfabrik.de)

Drei Jahre ist er nun schon Weltmeister, seit einem Jahr ist er wieder bei dem Klub, bei dem er sich nach eigener Aussage am wohlsten fühlt. Zeit für ein ausführliches Gespräch mit Christoph Kramer.

TF: Chris, seit dem Trainerwechsel von Schubert zu Hecking sieht es so aus, als ob Deine ganze Laufarbeit wieder Sinn macht. Warum war das vorher anders?

Christoph Kramer: Es stimmt, dass wir unter Schubert viel hinterhergelaufen sind. Wir Sechser hatten einen Riesenraum zu verteidigen. Vorne standen vier, hinten vier und wir beide hatten oft die ganze Breite. Da bist du rumgelaufen und in keinen Zweikampf gekommen.

TF: Platzt einem da nicht mal der Kragen?

Christoph Kramer: Klar hatte man da schon mal so eine Fresse nach dem Spiel. Das war die typische Drecksarbeit, die wir machen mussten und gefühlt kann ich mich da auch nicht an Ballkontakte erinnern.

TF: Also war Schuberts System mit Dreierkette und Pseudo-Pressing letztlich der Knackpunkt?

Christoph Kramer: Das will ich so nicht sagen. Wir sind ja richtig gut in die Saison gekommen, haben Bern zweimal weggeschossen und aus fünf Spielen zehn Punkte geholt. Dann war Pause und alle haben sich angeschaut und gesagt: Okay, wir können auch deutscher Meister werden.

TF: Und dann?

Christoph Kramer: Dann kam plötzlich Unruhe rein, wir hatten fast nur englische Wochen und es gab viele Verletzte. Wir waren in diesem Negativstrudel, den wir nicht mehr stoppen konnten.

TF: Schubert hielt bis Dezember an seinem System fest. Hat er sich da verhoben? Du kennst es ja aus Leverkusen, wo unter Roger Schmidt dieses ›Extrem-Pressing‹ gespielt wurde.

Christoph Kramer: In Leverkusen konnte ich das mal 90 Minuten gehen, aber dann brauchte ich erstmal eine Woche frei. Das Spielsystem ist super, aber man muss einfach die Balance finden, da man das nicht alle drei Tage spielen kann. Am Ende, als wir mit Leverkusen aus den Pokalwettbewerben rausgeflogen sind, haben wir in der Liga alles gewonnen. Es ist ein Ansatz vom Fußball, den ich als Spielertyp nicht unbedingt favorisiere, aber es ist trotzdem ein guter Ansatz.

TF: Im Winter kam Dieter Hecking, stellte auf ein 4-4-2 und plötzlich war die lange vermisste Balance vorhanden. Klingt einfach.

Christoph Kramer: Ist es aber nicht. Denn bei den ganzen Systemdiskussionen darf man nicht vergessen, dass Fußball zu einem ganz großen Prozentteil auch eine Mentalitätssache ist. Nach so einer Hinrunde kann es in einem Team, wo es so hohe Erwartungen gibt, sowas von knallen, dass du letzter wirst. Was die Mannschaft geschafft hat, ist nicht hoch genug zu bewerten.

TF: Aber die Rückkehr zum ›bewährten‹ System war schon sehr hilfreich ...

Christoph Kramer: Klar, es war genau die richtige Schraube, an der wir drehen mussten. Es ist unser Spiel, wenn wir organisiert sind und aus einer Kompaktheit kommen. Jetzt spielen wir disziplinierter, mit mehr Intelligenz und die Räume werden klar zugelaufen.

TF: Die Rückrunde war punktemäßig herausragend, dennoch waren am Ende alle irgendwie enttäuscht. Das bittere wie unnötige Ausscheiden in den Pokalwettbewerben ...

Christoph Kramer: Das hat wirklich weh getan. Aber gerade da hat sich gezeigt, dass wir über die Saison hinweg zu viele Verletzte hatten.

TF: Ist die Sache mit den Verletzten nicht auch eine leichte Ausrede?

Christoph Kramer: Es ist eine blöde, aber legitime Ausrede.

TF: Am Ende wurde auch noch die Chance auf Europa liegen gelassen.

Christoph Kramer: Wenn du die letzten drei Spiele gewinnst, anstatt Unentschieden zu spielen, bist du Fünfter. In den entscheidenden Momenten der Saison ist es einfach blöd gelaufen. Trotzdem war die Rückrunde aufgrund der schwierigen Situation eine Eins.

TF: Du hast jetzt ein halbes Jahr mit Dieter Hecking gearbeitet. Wie kommt er bei der Mannschaft an?

Christoph Kramer: Was er in der Menschenführung macht, da muss ich ihm ein Riesenkompliment aussprechen. Das habe ich auch schon ganz anders erlebt. Ich finde es ganz wichtig, dass er sehr gerecht und ehrlich ist. Man denkt es vielleicht gar nicht, aber er ist auch sehr humorvoll. Aber er weiß genau, wann es ernst wird und wann er mal hart rangehen muss. Er geht super mit der Gruppe um und jedem Einzelnen an sich.

TF: Du hast ja schon einige ganz verschiedene Trainertypen erlebt ...

Christoph Kramer: Ja, da konnte ich schon viel mitnehmen. Es ist irgendwie cool, bereits in relativ jungen Jahren so viele unterschiedliche Ansätze kennengelernt zu haben.

TF: Mit Lucien Favre gab es in Rottach-Egern ein Wiedersehen. Er hat dich nachhaltig geprägt, oder?

Christoph Kramer: Ja, ihm habe ich sehr viel zu verdanken. Ich habe eine Menge von ihm gelernt. Dass er ein richtig guter Trainer ist, wissen wir alle.

TF: Und Roger Schmidt? Viele bezeichnen ihn als ›komischen Vogel‹.

Christoph Kramer: Also ich würde jederzeit gerne mit ihm ein Bierchen trinken gehen, weil er ein guter Typ ist. Und er ist ein Trainer, der einen wirklich guten Plan vom Fußball hat.

TF: Und dann war da ja noch Peter Neururer ...

Christoph Kramer: Wäre der magische Peter nicht gewesen, wären wir in Bochum sang- und klanglos abgestiegen. Von Peter Neururer kann man fürs Leben lernen. Es gibt keinen besseren Feuerwehrmann. Wenn ich das Sagen bei Barcelona hätte und wir sechs Spieltage vor Schluss unbedingt Meister werden wollten, würde ich Neururer holen. Er weiß, wie man eine Mannschaft begeistern kann.

TF: Zurück zu Dieter Hecking. Er trainiert mit euch in der Vorbereitung mit Dreier- bzw. Fünferkette. Wie schätzt du diese ›Systemerweiterung‹ ein?

Christoph Kramer: Als sinnvoll. Die Viererkette, so wie wir sie interpretieren, ist eher aus einer abwartenden und sehr kompakten Haltung heraus. So, dass wir auch lange Ballbesitzphasen haben. Jetzt geht es darum, eine andere Idee zu entwickeln, dass du in Heimspielen, oder wenn du zurückliegst, mit einer richtigen Wucht kommen kannst. Generell brauchst du heute im Fußball eine Flexibilität von Spielertypen und Spielideen.

TF: Wie ist das mit den ›Typen‹ abseits des Platzes? Borussia legt ja viel Wert auf die Charaktereigenschaften bei Neuzugängen.

Christoph Kramer: Das ist sehr wichtig. Es wäre schlimm, wenn du denen erstmal mit vier Mann die Leviten lesen müsstest. Aber solche Typen gibt es bei uns nicht. Du kannst auch ein Typ sein, ohne dass du meckerst, pöbelst oder mit Skandalen zu tun hast.

TF: Im Kader sind viele Spieler, die den Anspruch haben, zur ersten Elf zu gehören. Im Verhältnis zur letzten Saison wird es weniger Spiele geben. Ist da nicht Ärger vorprogrammiert?

Christoph Kramer: Wenn man sich bei uns die Flügel anschaut, haben wir eigentlich nur Stammspieler. Klar, es wird Härtefälle geben. Aber wir haben eine gute Truppe, das sage ich nicht einfach so. In erster Linie sind wir Mitspieler, bevor wir Konkurrenten sind. Das haben viele von uns verinnerlicht. Wir wollen zusammen Erfolg haben und an einem Strang ziehen.

TF: Mit Denis Zakaria erhältst du einen neuen Nebenmann und/oder Konkurrenten. Welchen Eindruck hast du von ihm?

Christoph Kramer: Er ist ein ganz feiner Kerl, total anständig. Fußballerisch ist er auch ein guter Mann.

TF: Max Eberl hat Dir bei der Vorstellung von Zakaria gewissermaßen das ›Ei ins Nest‹ gelegt, dass Du künftig eher für den spielerischen Part auf der Doppelsechs zuständig bist. Was sagst Du zu der Vorlage?

Christoph Kramer: Ich würde nicht gerne in die Spielmacherrolle gedrängt werden. Wir sind beide Spieler, die Bälle erobern und Fußballspielen können. Das wird harmonieren. Diese klare Rollenverteilung wie bei Mo und mir, die gibt es sicherlich nicht.

TF: Zakaria hat einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet, Du letztes Jahr auch. Wie belastend sind die Zahlen für einen Profi?

Christoph Kramer: Meine Ablöse war ja quasi wieder drin, als wir die Champions-League-Quali geschafft haben. Wenn du siehst, dass Kyle Walker für 57 Millionen zu City wechselt, wäre das früher sieben Tage auf der Titelseite gewesen. Heute gibt es dazu nur einen Zweizeiler. Das ist unwirklich, aber es bringt nichts, darüber nachzudenken. Du musst auf den Zug aufspringen.

TF: Borussias neuer Rekordtransfer ist Matthias Ginter. Du kennst ihn ja etwas genauer: Kann er die Lücke schließen, die Andreas Christensen hinterlassen hat?

Christoph Kramer: Die Lücke von Christensen wird nicht sehr groß werden, auch wenn Andi natürlich sehr stark in dem war, was er hier gemacht hat. Ginter hat für sein Alter viel Erfahrung, er kann das Spiel gut eröffnen, ist am Mann stark und hat ein gutes Kopfballspiel. Es sieht zwar nicht so aus, aber er ist auch relativ schnell. Ich zum Beispiel sehe schneller aus, als ich bin (lacht).

TF: Also wird Ginter der schnellere Weltmeister bei Borussia sein... Der WM-Titel jährte sich kürzlich zum dritten Mal. War das halbe Jahr nach Brasilien vielleicht das schwierigste in Deiner bisherigen Karriere?

Christoph Kramer: Medial war das Jahr nach dem Weltmeistertitel das komplizierteste, auf dem Platz nicht.

TF: Aber wir haben damals geschrieben, dass du in manchen Spielen zu sehr etwas ›weltmeisterliches‹ machen wolltest.

Christoph Kramer: So war es nicht. Es kann natürlich schon sein, dass ich mal ein, zwei Dinge probiert habe, die ich sonst nicht mache. Aber wirklich anders habe ich nicht gespielt. Die Wahrnehmung war einfach eine völlig andere. Alle haben plötzlich geschrieben, dass ich ein bisschen zu cool sei nach dem Titel. Dann achtest du auch darauf. Meine Mutter hat mir das auch gesagt (lacht).

TF: Der ganze Hype nach der WM hatte grenzwertige Ausmaße. Wie ordnest du das mit dem Abstand von drei Jahren ein?

Christoph Kramer: Der Weltmeistertitel hat nicht nur Sonnenseiten, das steht fest. In dem Moment war es sehr anstrengend, aber auch unfassbar lehrreich. Ich habe nach der WM sehr viel für mein Leben mitgenommen und bin froh, als junger Mensch solche Erfahrungen sammeln zu können. Auch zu merken, wie man auf einmal wirkt.

TF: Als Du vor einem Jahr zurückgekommen bist, hast Du mit viel Begeisterung über Borussia gesprochen. Gilt das heute auch noch?

Christoph Kramer: Auf jeden Fall. Der Schritt nach Leverkusen war wichtig für mich. Die Mannschaft war okay und sauber, aber hier ist es von den Typen her, vom Umfeld usw, etwas anderes. Ich finde Gladbach dahingehend einfach überragend.

TF: Das klingt aber jetzt sehr nach einer Floskel fürs Vereinsmagazin ...

Christoph Kramer: Ist es nicht. Es macht wirklich Spaß, hier zu arbeiten. Das wird heute oft unterschätzt. Für mich steht im Vordergrund, dass ich mich wohlfühle. Klar will ich auch Geld verdienen, aber der Job ist so einnehmend, dass der Fußball das Leben ist. Damit das funktioniert, muss ich zu dem Verein wechseln, wo ich mich am wohlsten fühle. Das ist Gladbach.

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