Es war schon ernüchternd, was die Gladbacher Borussen am Sonntagnachmittag auf den Rasen im Stadion am Millerntor brachten. Dabei wartete St. Pauli nun wirklich nicht mit einer überraschenden Spielweise auf. Sie gingen forsch, mutig und engagiert zu Werke - so wie man es erwarten musste. Und doch hatten die Borussen von Beginn an keine Lösungen parat, sich effektiv aus dem Pressing des Abstiegskandidaten zu befreien.
Weder die langen Bälle in Richtung Kleindienst waren ein probates Mittel, noch gelangen die Versuche, sich heraus zu kombinieren. Spätestens nach drei Stationen war Schluss und der Ball wieder weg. Tim Kleindienst war anschließend stocksauer: »Es hat gar nichts funktioniert«, grummelte der Nationalstürmer. »Wir hatten keine zweiten Bälle, haben keinen vernünftigen Angriff zu Ende gespielt und hatten so viele Ballverluste und einfache technische Fehler.«
Überraschend große Räume für St. Pauli
Das galt auch für Kleindienst selbst, der wie die Kollegen deutlich unter seinen Möglichkeiten blieb. Eine gute Kopfballchance hatte der Goalgetter nach Flanke von Honorat, bei der augenfällig mehr drin war, als letztlich dabei herauskam. »Natürlich ärgere ich mich, weil ich schon das Gefühl hatte, dass ich den machen sollte. Ich hatte viel Platz«, gab Kleindienst zu.
Der Spielaufbau war zu fehlerbehaftet, vorne fehlten Durchsetzungsvermögen und Esprit und auch an der zuletzt so gelobten Kompaktheit mangelte es sichtlich. Obwohl numerisch genügend Borussen hinter dem Ball waren, gab es für St. Pauli überraschend große Räume, um sehr einfach an und in den Gladbacher Strafraum zu kommen. Das Einzige, was bei den Borussen wirklich funktionierte, war die Bereitschaft, sich in letzter Instanz in die Bälle zu werfen und irgendwie die Schüsse zu blocken.
Pereira Cardoso sammelt weitere Pluspunkte
Und wenn das nicht gelang, hatte man ja noch Tiago Pereira Cardoso, der sich erstmals in seiner Bundesligakarriere über mangelnde Beschäftigung nicht beklagen durfte. Der Youngster zeigte recht eindrücklich, dass man ihm einiges zutrauen kann und er sammelte weitere Argumente, dass man im Schlussspurt der Liga nicht zwingend einen Torwartwechsel vornehmen muss, wenn Omlin doch bald wieder einsatzfähig sein sollte.
Doch ein sicherer Pereira Cardoso und die Bereitschaft, sich im Strafraum bei den unzähligen Abschlüssen des Gegners leidenschaftlich zu ‘opfern’ sind keine ausreichenden Zutaten, um ein Bundesligaspiel zu gewinnen. Aber als mit dem Pausenpfiff wie aus dem Nichts durch den Kopfballtreffer von Ko Itakura nach der Honorat-Ecke tatsächlich die Führung gelang, schien alles möglich. Mit dem glücklichen 1:0 im Rücken eine überlegene zweite Halbzeit hinlegen und sich einen souveränen Auswärtssieg zu verdienen, war eine realistische Option.
»Es ist uns überhaupt nicht gelungen, uns zu entfalten - weder mit Ball noch ohne Ball
Doch es kam komplett anders. Die Borussen unterboten die Leistung der schwachen ersten Halbzeit sogar noch und hatten außer der Kopfballmöglichkeit von Plea nach Reitz-Flanke keine einzige nennenswerte Torchance. »Wir sind hinterhergelaufen, hatten keinen Zugriff und waren auch bei Ballbesitz nicht gut«, monierte Sportchef Roland Virkus und Gerardo Seoane ergänzte: »Es ist uns überhaupt nicht gelungen, uns zu entfalten - weder mit Ball noch ohne Ball«.
Auch die Eingriffe von Außen verpufften dieses Mal wirkungslos. Die Umstellung auf Dreier- bzw. Fünferkette hatte keinen erkennbaren Effekt und letztlich war der Ausgleich für St. Pauli absolut überfällig. Auch wenn man selbst mit so einer Leistung ein Spiel fünf Minuten vor Schluss nicht zwangsläufig verlieren muss. Doch so musste Pereira Cardoso seinen ersten Treffer in der Bundesliga hinnehmen - immerhin mit dem kleinen Trostpflaster, dass dieser Schuss unhaltbar war.
Kein Beinbruch, aber ein echter Stimmungsdämpfer
»Wir sind uns bewusst, dass es eher ein glücklicher Punkt ist, den wir mitnehmen«, sagte Gerardo Seoane anschließend. Noch ist im Rennen um Europa alles offen - aktuell rangieren die Borussen auf dem sechsten Platz, der zur Teilnahme an der Conference League berechtigt. Nachdem sich die Konkurrenz auch nicht übermäßig mit Ruhm bekleckert hat, ist dieses Remis am Millerntor kein Beinbruch. Die Gesamtleistung war allerdings ein echter Stimmungsdämpfer.
von Marc Basten