Dass im heutigen Fußball junge Spieler immer früher immer mehr wollen, ist eine nicht mehr aufzuhaltende Entwicklung. Dass es aber auch durchaus sinnvoll ist, zu Beginn einer Karriere bewusst einen Schritt nach dem anderen zu machen, zeigt das Beispiel Florian Neuhaus. Die Zwischenstation Düsseldorf war für ihn lehrreich und das Jahr in der 2. Liga ließ ihn reifen. So wirkte er bei seinem Bundesligadebüt im August 2018 nicht wie ein Frischling, sondern wie ein gestandener Profi. Mit großer Selbstverständlichkeit trat er auf, zeigte sich unbeeindruckt, unbekümmert und überhaupt nicht zweikampfscheu. Dazu präsentierte er sich als eminent laufstark.
Schon während der Vorbereitung hatte sich angedeutet, dass Neuhaus den Sprung zum Stammspieler vollziehen kann. Die neu geschaffene Position des Achters nahm er an und interpretierte sie im Zusammenwirken mit Jonas Hofmann so gut, dass sie zum Herzstück des von Dieter Hecking eingeführten 4-3-3 wurden. Der Trainer setzte auf den eleganten Techniker, auch wenn er ihn nicht ‘verheizen’ wollte. So gab es im Verlauf der Saison immer mal wieder kleinere Pausen, in denen Neuhaus von der Bank kam. Insgesamt siebenmal wurde er eingewechselt, dagegen stehen beachtliche 25 Startelfeinsätze. Nur einmal stand er im Kader, ohne dass er zum Zuge kam (in der Rückrunde in Mainz), zudem fehlte er am letzten Spieltag gegen den BVB aufgrund einer Gelbsperre.
Auffällig gute fließende Bewegungen bei der Ballmitnahme
Florian Neuhaus entwickelte sich zum Leistungsträger. Auffällig gut waren seine fließenden Bewegungen bei der Ballmitnahme und seine nach vorne orientierte Spielweise. Natürlich lief noch nicht alles perfekt für den ehemaligen Münchener Löwen. Manchmal hatte er Probleme mit zu körperlich agierenden Gegenspielern und es gab immer mal wieder Momente, in denen er das Geschehen in seinem Rücken unterschätzte. Doch mit seiner Eleganz am Ball tat er dem Gladbacher Spiel in der insgesamt so starken Hinrunde sichtlich gut. Acht Assists im ersten Halbjahr unterstreichen die Wertigkeit des U21-Nationalspielers. Dass er bis zum 14. Spieltag auf seinen ersten Bundesligatreffer warten musste, hatte er sich größtenteils selbst zuzuschreiben. Schon zuvor hatte er einige klare Möglichkeiten liegengelassen, doch Anfang Dezember gegen Stuttgart, als er zur Pause eingewechselt wurde, legte er erst mit einer butterweichen Flanke für Raffael das 1:0 auf, ehe er nach einer doppelten Körpertäuschung überlegt zum 2:0 traf und sich endlich in die Torschützenliste eintrug.
In der Rückrunde startete Neuhaus zwar in den ersten drei Partien zweimal von der Bank aus, doch der allgemeine Höhenflug der Borussia schien sich fortzusetzen. Auf Schalke, wo der Gladbacher Gipfelsturm am 20. Spieltag gekrönt wurde, setzte Neuhaus nach seiner Einwechslung den Schlusspunkt, als er zu Ende einer überragenden Kombination nach zwei Minuten und dreiundvierzig Sekunden mit dem 61. Kontakt zum 2:0-Endstand traf. In diesem Moment hing der Himmel voller Geigen für Neuhaus und seine Kollegen. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass ein historischer Absturz folgen würde. Auch Florian Neuhaus wurde in den folgenden Wochen mit in den Negativstrudel gezogen. Wer weiß, ob alles so schlimm geworden wäre, wenn Neuhaus gegen Wolfsburg nicht nur die Latte getroffen und kurz darauf eine Mega-Chance nicht ungenutzt gelassen hätte. So aber ging auch dieses Spiel verloren und das Unheil nahm seinen Lauf.
Am Ende musste er zuviel der Last schultern
Neuhaus spielte in diesen Wochen nicht katastrophal schlecht, aber er war - wenig überraschend - auch nicht der Spieler, an dem sich die anderen aufrichten konnten. Als Dieter Hecking gegen Bremen erstmals eine Systemänderung vornahm, kam Neuhaus eine Schlüsselrolle zu. Er wurde als Freigeist in zentraler Rolle hinter den beiden Spitzen aufgeboten, was er gegen Werder sehr ordentlich umsetze. In dieser Partie markierte er seinen dritten und bislang letzten Bundesligatreffer. In den nächsten Spielen zeigte sich allerdings, dass er mit der Rolle, bzw. deren Interpretation, etwas überfordert war. Zeitweise sah es so aus, als ob er selber nicht wusste, in welchen Räumen er sich aufhalten sollte. Vieles wirkte nicht abgestimmt und zufallsbasiert und Neuhaus verkrampfte zusehends. Oftmals traf er die falsche Entscheidung und die Dinge, die er zuvor intuitiv löste, funktionierten nun nicht mehr.
Einen Vorwurf kann man dem 22-Jährigen dabei nur schwerlich machen. Er musste definitiv zu viel der Last schultern und von daher war der Leistungsknick zum Ende hin nachvollziehbar. Gleichwohl hat Neuhaus unter dem Strich ein starkes und eindrucksvolles Premierenjahr in der Bundesliga hingelegt und auch bei der U21-EM überzeugt. In seiner Spielweise erinnert er in manchen Situationen an den jungen Sebastian Deisler und die Eleganz, mit der er die Kilometer abspult - und ab und an etwas sehr leicht im Strafraum fällt - ist bemerkenswert. In den Planungen von Marco Rose dürfte er eine zentrale Rolle einnehmen. Das spielerische Potential von Florian Neuhaus wird in einem vorwärtsorientierten System erst richtig zur Geltung kommen.
von Marc Basten