Der neue Tag war schon mehr als anderthalb Stunden alt, da wirkte der alte noch in voller Dröhnung nach. Selbst der Wunsch, nach dem verlorenen Halbfinale den Ort des Grauens zügig zu verlassen, erfüllte sich für die Spieler von Borussia Mönchengladbach und tausende Fans nicht. Sie hingen fest im Stau am Borussia-Park und das Chaos auf den Straßen um 1.30 Uhr war sinnbildlich für die Ereignisse wenige Stunden zuvor.
Es sollte ein Feiertag werden und wurde letztlich zu einer desillusionierenden Bodenlandung. Schon unmittelbar nach Anpfiff zeichnete sich ab, dass es für die Gladbacher weitaus komplizierter werden würde, als viele es erwartet hatten. »Die Mannschaft war angespannt, es ist nichts leicht von der Hand gegangen«, hatte Max Eberl von der Bank aus festgestellt. »Wir waren hypernervös, sehr fahrig und haben viele leichte Bälle verloren«, ergänzte Dieter Hecking. »In der ersten Halbzeit haben wir nie einen richtigen Spielrhythmus gefunden.«
»Frankfurt hat sehr abgezockt gewirkt«, gab Eberl zu. Die Hessen waren giftig und aggressiv und kauften den Gladbachern deutlich den Schneid ab. Und das mit taktisch simplen, aber effektiven Mitteln. »Sie haben eins gegen eins über den ganzen Platz gespielt«, schilderte Yann Sommer seine Beobachtungen. Die Gladbacher, besonders in der Zentrale, ließen sich davon derart irritieren, dass es stetig Ballverluste und Umschaltmomente für Frankfurt gab. »Wir haben ihnen immer wieder die Chance gegeben, richtig Druck zu machen«, monierte Sommer.
Die Borussen konnten von Glück reden, dass die Frankfurter nicht mehr als diesen einen Treffer erzielen konnten, der folgerichtig und hochverdient war. »Wir haben die erste Halbzeit komplett verschlafen«, sagte André Hahn. »Wir hatten einfach keinen richtigen Zugriff.«
Der Ausgleich vor der Pause war nicht verdient, brachte Borussia aber nicht nur zurück ins Spiel, sondern sorgte auch für Rückenwind. Die Borussen standen nun geschlossen kompakter und übernahmen endlich die Initiative. »Ab der 46. Minute haben wir Pressing und nach vorne gespielt«, so Hecking. »Und hinten haben wir nur einen Torabschluss zugelassen. Mehr kannst du dann nicht tun.«
Tatsächlich kippte die Partie mit Wiederanpfiff deutlich zu Gunsten der Borussia. Die Frankfurter arbeiteten immer noch aufopferungsvoll und reizten alle Mittel wie Spielverzögerung und Rhythmusstörungen durch Verletzungspausen weidlich aus. Doch bei den Hessen liefen mehrere Spieler noch in der regulären Spielzeit auf Reserve. »Ab der zweiten Halbzeit waren wir besser, viel frischer und aktiver«, sagte Eberl. »Aber da fehlte im letzten Moment die Konzentration, so dass wir keine großen Torchancen hatten.«
»Du musst aus dem Ballbesitz in den Strafraum und zum Abschluss kommen«, ergänzte Dieter Hecking. »Das ist uns nicht gelungen.« So rettete sich Frankfurt in die Verlängerung und letztlich auch ins Elfmeterschießen. »Sie waren nur noch darauf aus, dorthin zu kommen«, sagte Lars Stindl. »Wir haben alles versucht, das Spiel vorher für uns zu entscheiden. Leider ist es uns nicht gelungen.«
So musste die Elfer-Lotterie die Entscheidung bringen. Max Eberl brachte sich schon vor dem ersten Schuss in Sicherheit - er konnte nicht hinschauen. »Ich habe so viele Elfmeterschießen gesehen, die wir verloren haben - ich wollte nicht dabei sein. Aber es hat auch nichts geholfen.«
Die Gladbacher bewiesen zwar anfänglich starke Nerven und verwandelten brutal sicher, doch auch die Frankfurter trafen. Nach dem Fehlschuss von Christensen korrigierte Sommer, doch nachdem Sow verschoss, machte (natürlich) Branimir Hrgota alles klar für die Eintracht.
Während die Frankfurter feixend und grölend durch die Katakomben des Borussia-Parks turnten, bemühten sich die tief deprimierten Borussen, das Geschehen in Worte fassen. »Das hat die Mannschaft nicht verdient«, sagte Eberl. »Sowohl das Europapokalaus als auch das heute. Es tut weh.« »Das ist definitiv einer der bittersten Momente meiner Karriere«, erklärte André Hahn. »Wenn man so nah dran ist, tut das brutal weh.«
Nicht zu unrecht verwiesen die Beteiligten darauf, dass Borussia nicht »mit der vollen Kapelle« (Hecking) angetreten sei. Das wollten sie zwar nicht als Ausrede gelten lassen, aber die vielen Ausfälle bedeuteten im engen Halbfinale einen merklichen Qualitätsverlust. »Wir haben alles versucht, mit dieser Mannschaft nach Berlin zu kommen«, resümierte Dieter Hecking. »Es hat nicht gereicht. Wir müssen die Wunden lecken und schnell wieder aufstehen.«
Das wird wahrscheinlich noch schwieriger als ein Halbfinale mit Elfmeterschießen. Auch der Nackenschlag in der Europa-League wird nochmal hochkochen und gepaart mit dem Pokalaus eine fiese Mischung ergeben. »Man muss Zeit vergehen und es sacken lassen«, meinte Yann Sommer. Doch bereits am Samstag müssen die verbliebenen Borussen in Mainz ihren Mann stehen. »Wir wollen einen Abschluss finden, wo man sagt, wir haben alles nochmal versucht«, sagte Eberl. »Klar werden wir uns wieder aufrichten«, erklärte André Hahn mit trotzigem Unterton. »Wir haben ja keine andere Wahl.«