Die Europa League ist fix, zudem hat die Mannschaft ein sehr kompliziertes Spiel gegen Manchester City gemeistert. Die eigene Durststrecke in der Liga im Gepäck, die Milliarden-Truppe aus England (Tony Jantschke: »Eine Wahnsinnsmannschaft«) vor Augen – das war schon keine einfache Ausgangsposition. Erschwerend kam hinzu, dass der türkische Schiedsrichter Cüneyt Cakir in seiner ganz eigenen Fußballwelt unterwegs war. André Schubert sagte anschließend süffisant, dass Cakir wohl sogar für »Kopfstreicheln« eine Gelbe Karte gezückt hätte.
Die Borussen nahmen die Herausforderung an, überließen ManCity (geplant) die Spielgestaltung und setzten aus einer guten Organisation heraus auf Konter. Das klappte im ersten Durchgang eindrucksvoll, in der Phase nach dem Führungstor schlingerte City gewaltig und Pep Guardiola musste sich einiges einfallen lassen, um sein Team durch Umstellungen wieder in die Spur zu bringen.
Die zweite Halbzeit wurde durch Cakirs Kartenwahn geprägt, beide Platzverweise waren überzogen. Borussia hielt in Unterzahl aufopferungsvoll dagegen und brachte in Gleichzahl das zum Weiterkommen ausreichende Remis über die Runden, auch weil Manchester nicht mehr voll ins Risiko ging.
Ziel erreicht und alles Friede, Freude, Eierkuchen im Borussia-Park? Weit gefehlt. Die aktuelle Lage geht nicht spurlos an den Protagonisten vorbei. Sportdirektor Max Eberl war anschließend ‚on fire‘, was auch mit den Pfiffen zu tun hatte, die André Schubert für die Auswechslung von Mo Dahoud über sich ergehen lassen musste. »Das sind dumme Menschen«, ereiferte sich Eberl. Dahoud war drauf und dran, ebenfalls mit Gelb-Rot vom Platz zu fliegen, der Wechsel nur folgerichtig.
»Die Menschen, die hierherkommen und erwarten, dass Borussia Mönchengladbach Manchester City aus dem Stadion fegt, die sollen nach München fahren«, grummelte Eberl, den die Pfiffe sichtlich geärgert hatten. »Da guckt keiner Fußball, da will nur einer Frust abladen und wartet nur darauf: Jetzt kann ich endlich dem Eberl, dem Wichser, wieder was sagen«.
Eberl wollte zwar nicht alle Zuschauer über einen Kamm scheren, dennoch war seine Ansage deutlich. »Ganz, ganz viele machen das nicht. Aber gefühlt sind es sehr viele, und die hörst du halt in so einer Stimmungslage noch mehr als die anderen«.
»Ich spüre hier eine Stimmung, wo du das Messer durschneiden kannst«, so Eberl weiter. Es ist die Erwartungshaltung, die laut Eberl »Mönchengladbach, wie vielen Traditionsvereinen, auf die Füße fallen« kann. »Wir verteidigen eine Erwartungshaltung, der wir nicht gerecht werden können. Ich muss mir das auch selbst anheften: Vielleicht hat Max Eberl vor der Saison nicht diesen typischen Mahner wie Lucien Favre machen können und die Leute nicht so erreicht, wie es andere schaffen um Erwartungen in den Keller zu schrauben«.
»Man feiert nach fünf Spieltagen ein 1:1 gegen Manchester City, steht in der Europa League und ich habe das Gefühl, alle gehen nach Hause und es ist ‚Business as usual‘. Damit kann ich schlecht umgehen. Scheinbar entstehen um uns herum Dinge, die ich auch irgendwann nicht mehr aufhalten kann. Und wenn das soweit ist, dann muss ich nach Hause gehen«.
»Auch wir wissen, dass wir in der Liga mehr Punkte haben müssten. Wir sehen es nicht blauäugig und naiv. Trotzdem wird das nicht gehört und es heißt, ‚alles ist scheiße‘. Das finde ich gefährlich. Das kann Gladbach nicht leisten – und übrigens die anderen Vereine auch nicht. Es gibt nur noch Schwarz und Weiß und kein ‚wir schauen mal‘. Ich weiß auch nicht, wie ich das lösen kann. Ich rede und rede, versuche zu erklären und darzulegen, doch es verhallt und wird nicht gehört. Das ist dann manchmal demotivierend, auch für mich«.
Deutliche Worte von Eberl, der neben dem mangelnden Realitätssinn auch über die fehlende Rückendeckung im Umfeld enttäuscht ist. »Wir hatten eine fantastische Zeit und ich hatte das Gefühl, dass wir mehr Bonus hätten, auch mal Butterbrot zu kauen statt Wurstbrot zu fressen. Normales Verhalten ist Unzufriedenheit und auch mal Unmut, aber nicht, so gar kein Vertrauen in die handelnden Personen zu haben«.
Frustriert aufgeben will Eberl freilich nicht, dazu ist er viel zu sehr ein Kämpfer. »Ich wehre mich dagegen. Mir liegt dieser Verein am Herzen. Ich war mit in der zweiten Liga, wir haben das Stadion gebaut und haben gesagt: ‚jetzt Europa‘. Und sind trotzdem abgestiegen. Ich habe das alles miterlebt hier. Ich kenne diesen Verein verdammt gut. Ich habe die Leute gehört, wie sie gesagt haben, bitte, bitte einmal nach Europa. Jetzt sind wir es zum vierten Mal und nun ist es ein Automatismus? Das ist nicht realistisch«
Eberl appelliert an die eigentlich für ihre Besonnenheit bekannten Gladbacher Fans, die »verdammt vielen guten Leute, die schon jahrelang hinter uns stehen«, wieder an einem Strang zu ziehen und Realismus walten zu lassen. »Ich will nicht am Herzinfarkt sterben, weil ich alles zurückhalte und versuche, diplomatisch zu sein«, beschloss Eberl seinen Appell. »Was ich sage, kommt aus dem tiefsten Inneren. Ich werde die Raute nicht küssen, aber ich habe 17 Jahre in dem Verein alles miterlebt. Und vielleicht habe ich auch das Recht, das mal zu sagen«.