Dass Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann nach dem 2:2 in Mönchengladbach relativ gefasst wirkte und sein Resümee mit der Erkenntnis schloss, dass »Gladbach heute ein bisschen glücklicher ist als wir«, wirkte im ersten Moment verwirrend. Denn eigentlich hätte Nagelsmann zetern müssen, dass es ein absoluter Witz sei, dass seine Mannschaft nicht als Sieger vom Platz gegangen ist. Hoffenheim war nicht nur von der Anzahl der Chancen her, sondern in allen anderen Bereichen das klar bessere Team. Nagelsmanns gefasste Haltung kann einzig damit erklärt werden, dass er sich mittlerweile ein stückweit daran gewöhnen musste, dass seine Mannschaft trotz Überlegenheit regelmäßig Punkte liegen lässt.
Im Borussia-Park sah es jedenfalls weite Strecken danach aus, als ob ein ambitioniertes Team (Hoffenheim) bei einem verunsicherten Abstiegskandidaten (Gladbach) antritt. Hoffenheim agierte mit einem mannbezogenen Angriffspressing, gegen das die Borussen keine Mittel fanden. Lange Bälle in Richtung Plea versandeten (Hecking: »Die kamen postwendend zurück, weil wir in der vordersten Reihe nicht die kopfballstärksten Spieler haben«) und die Versuche, sich flach heraus zu kombinieren, führten zu Ballverlusten (Hecking: »Wir hatten nicht die Ruhe im Spielaufbau, weil das Selbstvertrauen nicht so da ist«).
Offensivpressing ist und bleibt für die Borussen unbekanntes Terrain
Borussia schaffte es im ersten Durchgang nur in zwei, drei Situationen u.a. über Strobl, das Hoffenheimer Pressing vernünftig zu überspielen. Ansonsten blieben lange Verzweiflungsschläge, die nicht festgemacht wurden. Gleichzeitig waren die Gladbacher nicht in der Lage, selbst mal Pressingsituationen zu inszenieren und Hoffenheim gleichfalls etwas zu stressen. Fünf Minuten vor der Pause war es Plea, der an der rechten Außenbahn ein ›Zufallspressing‹ durchführte. Ansonsten blieb die bittere Erkenntnis, dass ein gemeinsames hohes Anlaufen für die Borussen unbekanntes Terrain ist und bleibt. Hoffenheim war drückend überlegen und sowohl mit als auch gegen den Ball eine Klasse besser. Dass es nur 0:1 stand, war für die Fohlenelf mehr als schmeichelhaft.
In der Pause stellte Hecking auf ein 4-3-3 um und brachte mit Beyer und Traoré zwei neue Spieler. Die Auswechslungen waren allerdings mit den Verletzungen von Jantschke (Schlag aufs Knie) und Herrmann (muskuläre Probleme im Oberschenkel) begründet. »Die Umstellung wäre auch gekommen, wenn wir nicht verletzungsbedingt hätten wechseln müssen«, sagte Hecking. Sein Team agierte nun mit zwei hoch postierten Außenverteidigern (Beyer und Wendt), sowie Strobl als alleinigem Sechser. Zakaria und Neuhaus als Achter positionierten sich ebenfalls sehr weit nach vorne, nur knapp hinter den Außen Traoré und Hazard, während Plea die Zentrale besetzte.
Hoffenheim vergeigt beste Gelegenheiten auf schon groteske Art und Weise
Hoffenheim reagierte auf die taktische Veränderung und ließ vom mannorientierten Pressing ab. Die insgesamt höher positionierten Borussen bekamen mehr Ballzugriff im Mittelfeld und störten nun ihrerseits das Hoffenheimer Aufbauspiel. Das hatte zwar mit echtem Pressing noch immer wenig gemein, aber es zwang Hoffenheim zumindest zu dem einen oder anderen langen Ball. Auf der anderen Seite konnte Plea nun besser ablegen als zuvor und durch den Anschub über die Außen drängte Borussia Hoffenheim phasenweise zurück. Echte Chancen hatten die Gladbacher allerdings nicht, während Hoffenheim den Raum nutzte, den die neue Staffelung der Fohlen mit sich brachte. Jedoch vergeigten Kramaric & Co beste Gelegenheiten auf schon groteske Art und Weise. »Hoffenheim hätte den Sack zumachen müssen«, bestätigte Hecking.
Wie aus dem Nichts fiel dann das 1:1 durch Ginter. »Das war ein glücklicher Ausgleich«, sagte Hecking. »Dann wirds wild und es geht hin und her«. Sieben Minuten nach dem Gladbacher Treffer brachte Amiri den Gast wieder in Front. In diesem Moment schien das Spiel durch. Dass dem nicht so war, diente den Borussen anschließend als der große Aufhänger und Mutmacher. »Was sowas wie das 1:2 mit einer Mannschaft machen kann, ist manchmal verheerend«, erklärte Hecking. »Aber wie sie sich nochmal aufgebäumt hat, das ist das, was mich heute glücklich macht. Das hat gezeigt, dass die Mannschaft nicht tot ist«. »Dass wir nach dem zweiten Gegentor nochmal zurückkommen - Chapeau«, sagte Yann Sommer - wieder einmal Gladbachs Bester. »Dieses Gefühl müssen wir mitnehmen«.
»Ich habe gemerkt, dass wir noch da sind und noch dran glauben«
Dass ausgerchnet der lange verschmähte Josip Drmić für den neuerlichen Ausgleich sorgte, freute Sommer besonders. »Josip hat keine leichte Zeit«. Dass dies auch auf die gesamte Mannschaft zutrifft, ist zwar offensichtlich, doch wurde die Krise in den letzten Wochen stets kleingeredet. Der katastrophale Absturz nach dem zwanzigsten Spieltag galt in der offiziellen Sprachregelung als »Schwächperiode«, die ein wenig zu lange anhält. Dieter Hecking, der seine Spieler in Stuttgart noch angezählt hatte, forderte nun Verständnis ein. »Das sind auch Menschen, die Fehler machen und Gefühle haben. Die mal total im Flow sind, dann geht alles. Und dann gibt es mal Phasen, da wo nix geht. Das muss man diesen jungen Menschen auch mal zugestehen.«
»Was erwartet ihr nach so schwierigen Wochen?«, fragte Yann Sommer in die Runde der Journalisten. »Du wirst komplett an den Boden geschrieben - zum Teil zurecht, definitiv. Manchmal ein bisschen hart, aber das ist das Geschäft, das gehört dazu. Aber das geht nicht spurlos an einer Mannschaft vorbei«. Gerade deshalb ist dieser glückliche Punkt nach zweimaligem Rückstand für Sommer so wichtig. »Es fühlt sich fast wie ein Sieg an. Ich habe gemerkt, dass wir noch da sind und noch dran glauben.«
von Marc Basten und Jan van Leeuwen