Wie ordnet man so ein wildes und teilweise chaotisches 4:4 zum Auftakt in die neue Saison ein? »Spektakel, Emotionen, Achterbahn«, so umschrieb Gerardo Seoane seine Bundesligapremiere als Coach von Borussia Mönchengladbach. Seine Mannen zeigten ihm schon am ersten Spieltag die unterschiedlichsten Gesichter. Hier die schnellen, eiskalt und effizient abgeschlossenen Angriffe, dort das unzureichende Defensivverhalten. »Wenn du vier Tore kassierst, kannst du als Trainer nicht zufrieden sein. Aber manchmal gibt es solche Spiele.«
»Einerseits haben wir phasenweise gut verteidigt, andererseits waren wir zu fehlerhaft und haben zu wenig Druck auf den Ball in unserem eigenen Drittel gebracht«, führte Seoane aus. »Auch offensiv wäre mehr möglich gewesen, mit mehr Ballbesitz. Es ist uns nicht gelungen, das Spiel zu beruhigen und auch das muss unbedingt besser werden.« So kam es, dass die Gladbacher eine Partie, in der sie nach einer halben Stunde mit 3:1 auswärts führten und eigentlich alles im Griff hatten, komplett aus der Hand gaben. »Wir haben mit langen Bällen und unseren schnellen Jungs eiskalt zugeschlagen«, sagte Julian Weigl, der sich für den Assist des Treffers von Tomas Cvancara zum zwischenzeitlichen 2:0 verantwortlich zeigte. »Wenn man 3:1 führt, muss man mit einem besseren Ergebnis als einem 3:3 in die Pause gehen.«
Borussia verteidigt zu sorglos
Die Borussen halfen bei der Wiederbelebung der Augsburger kräftig mit, denn die Gastgeber brannten keinesfalls ein Feuerwerk ab oder setzten die Gladbacher bei ihrer Aufholjagd permanent unter Druck. Die Tore fielen jeweils in Situationen, in denen die Borussen zu sorglos agierten. Zwar stellten sich die Augsburger ihrerseits bei den Gladbacher Toren ähnlich fahrlässig an, aber das muss ja nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Fohlen es ihnen gleichtun müssen. Der zweifelhafte Elfmeter zum 3:3 in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit war ein richtiger Nackenschlag.
Nach dem Seitenwechsel war das Geschehen auf dem Platz auf beiden Seiten weniger fehlerbehaftet. Die Borussen hatten nun einige Passagen, in denen sie kontrollierter auftraten und das ganze Konstrukt wirkte kompakter als im ersten Durchgang. Dafür fehlte es indessen an zwingenden Aktionen vor dem gegnerischen Tor. Dass der FCA in der 76. Minute auf 4:3 stellte, hatte nicht wirklich in der Luft gelegen, war aber erneut einer gewissen Inkonsequenz im Gladbacher Defensivverbund geschuldet.
»Die Reise hat erst begonnen, es ist ein Prozess mit großen Veränderungen«
Eine Viertelstunde vor Schluss nach einem 3:1 plötzlich 3:4 hinten, dazu die nächsten beiden Brocken Leverkusen und Bayern vor der Brust - das Szenario eines schlimmen Fehlstarts nahm Gestalt an. Zumal es vom Kopf her doppelt und dreifach problematisch gewesen wäre, das Spiel in Augsburg auf diese Art und Weise zu verlieren. Entsprechend ist auch der Jubelausbruch von Gerardo Seoane einzuordnen, als Tomas Cvancara in der siebten Minute der Nachspielzeit den Elfmeter zum 4:4 verwandelte. Unter objektiven Gesichtspunkten war selbst dieser eine Punkt zu wenig, aber für die Psyche kann dieser ‘Last-Second-Ausgleich’ Gold wert sein. »Dieser Punkt fühlt sich heute wie ein Sieg an«, bestätigte Jonas Omlin. »Wir mussten viele Rückschläge wegstecken und in der letzten Minute einen Elfmeter zu verwandeln, können wir definitiv als Erfolg für uns werten.«
Auch Julian Weigl ordnete das Ende des Spektakels entsprechend ein. »Dass wir zum Schluss nochmal alles reingeworfen haben und als Team zusammengewachsen sind, gibt uns Kraft für die kommenden Wochen.« Gleichwohl ist klar, dass es in nahezu jedem Bereich deutliches Verbesserungspotenzial gibt. »Die Reise hat erst begonnen, es ist ein Prozess mit großen Veränderungen«, sagte Gerardo Seoane. Individuell und im Kollektiv sieht der Trainer noch viel Luft nach oben. Umso wichtiger, dass der Auftakt in Augsburg nicht zum Rohrkrepierer wurde. Erkenntnisse, wo Seoane mit der Arbeit ansetzen muss, wird er jedenfalls reichlich gewonnen haben. »Dieses Spiel wird sicherlich eine lange Aufarbeitung benötigen«, bestätigte der Schweizer. Nächsten Samstag gegen seinen Ex-Klub Leverkusen müssen die Borussen definitiv besser verteidigen als in Augsburg.