Gewisse Umstände als Gunst der Stunde zu erkennen und sie dann auch auszunutzen, gehört eigentlich nicht zur DNA von Borussia Mönchengladbach. Umso überraschender, dass es der Fohlenelf am Freitagabend in der leeren und verschneiten Allianz Arena gelang, den dezimierten FC Bayern niederzuringen. Zumal der Rekordmeister zumindest in der Startelf fast ausschließlich Hochkaräter aufgeboten hatte. Oder wie Christoph Kramer es anschließend treffend formulierte: »Da hat eine erste Elf bei den Bayern auf dem Platz gestanden, die 17 andere Bundesligisten sehr gerne hätten.«
So klingen die Namen der Beteiligten Münchener am Führungstreffer in der 18. Minute denn auch ganz und gar nicht nach Rumpftruppe: Verlagerung Süle, Gnabry gibt weiter zu Müller und dessen Pass verwertet Lewandowski. Alles schien den erwarteten Verlauf zu nehmen, auch weil die Borussen nach einem ordentlichen Beginn immer mehr den Zugriff verloren. »Das hat dann wieder besser geklappt, als wir anders angelaufen sind«, erklärte Kramer. »Mit einem Zehner und zwei Spitzen. Das sind manchmal die entscheidenden Kleinigkeiten.«
»Nach dem 1:1 war es ein Spiel, in dem wir aktiv waren«
Gleichwohl fiel der Ausgleich aus heiterem Himmel - und mit freundlicher Unterstützung der Bayern-Abwehr, die sich bei der Verteidigung der simplen Lainer-Flanke in etwa so geschickt anstellte, wie die Borussen in den Vorwochen in ähnlichen Situationen. Diesmal war Neuhaus der Nutznießer und brachte seine Mannschaft zurück ins Spiel. Die Bayern hatten an dem Treffer zu knabbern und die Borussen gewannen sichtlich Zutrauen in die eigenen Aktionen. »Nach dem 1:1 war es ein Spiel, in dem wir aktiv waren«, sagte Sportdirektor Max Eberl. Und die Borussen setzten noch einen drauf - Lainer traf nur vier Minuten nach dem Ausgleich per Kopf zur Gladbacher Führung.
Ein Tor nach einer Flanke, ein Tor nach einem Standard - die Borussen ärgerten die Bayern mit genau den Mitteln, mit denen sie selbst im Spätherbst so vorgeführt wurden. Dass Gladbach plötzlich führte, sorgte für eine veränderte Statik auf dem Platz. Zumindest bis kurz vor dem Pausenpfiff, als Lewandowski und Müller die Doppelchance hatten, war Borussia mehr als nur auf Augenhöhe. Nach dem Seitenwechsel änderte sich das Bild für rund zwanzig Minuten. Die Münchener drängten auf den Ausgleich und die Borussen gerieten ins Schwimmen. »In der einen oder anderen Situation hatten wir sicher auch etwas Glück«, sagte Yann Sommer, der einige Male retten musste.
»Nur zu sagen, dass wir so weitermachen müssen, wird nicht reichen«
Dennoch hatten die Gäste durchaus den Raum für eigene Angriffe. »Wir hatten gute Umschaltmomente und haben teils mutig nach vorne gespielt«, sagte Florian Neuhaus. Allerdings fehlte in letzter Instanz die Durchschlagskraft. »Wir hatten durchaus unsere Möglichkeiten, um vielleicht den Sack früher zuzumachen«, sagte Trainer Adi Hütter. So aber blieben die Borussen vornehmlich mit der Verteidigung des knappen Vorsprungs beschäftigt. In den letzten 25 Minuten wurde dann auch die Personalsituation bei den Bayern zu einem Faktor. Anders als gewohnt, konnte Nagelsmann diesmal keine Weltklasse von der Bank ‘nachschießen’ und einige Startelfspieler pfiffen aus dem letzten Loch.
Die Gladbacher brachten den Sieg mit Geschick, Glück und vor allem viel Engagement über die Zeit. Die zuletzt viel zitierten Laufwerte sprechen eine deutliche Sprache: Über 120 Kilometer liefen die Borussen, dazu machten sie mehr intensive Läufe als die Bayern. »Ich muss meiner Mannschaft ein Kompliment aussprechen«, meinte Adi Hütter. »Sie hat über 90 Minuten kämpferisch und läuferisch dagegengehalten und streckenweise auch spielerisch überzeugt.« Damit konnten die Gladbacher zunächst den ganz großen Druck vom Kessel nehmen. »Es ist sicherlich ein absolut wohltuender Sieg«, sagte Adi Hütter. »Ich würde mir wünsche, dass das ein erster Schritt in eine richtig gute Rückrunde war«, erklärte Christoph Kramer. »Aber es war auch nur ein Sieg. Nur zu sagen, dass wir so weitermachen müssen, wird nicht reichen.«
von Marc Basten