Ein wenig ungewohnt ist diese Sommervorbereitung bei der Gladbacher Borussia schon. Es hat, wie so vieles bei der Fohlenelf in den vergangenen Monaten, auch etwas mit der Abnabelung von Lucien Favre zu tun. Fünf Sommertrainingslager unter dem Schweizer haben vor allem eins gelehrt: Alles ist mit Vorsicht zu genießen.
Genauso wie Favre in jeder Pressekonferenz vor einem Spiel den Gegner in höchsten Tönen lobte, kehrte er vor einer Saison stets den großen Skeptiker heraus. Jedes Jahr zählte er auf, dass man wichtige Spieler hatte abgeben müssen, dass die Neuverpflichtungen Zeit brauchen und dass die Youngster zwar sehr talentiert sind, aber natürlich mit aller Behutsamkeit herangeführt werden müssten.
Dazu wiederholte er mantraartig die Mahnung, dass niemand vergessen dürfe, wo Borussia noch vor (hier jetzt bis 2011 rückwärts rechnen) Jahren war: So gut wie tot.
Favre trat stets mit großer Vehemenz auf die Euphoriebremse. Einerseits, weil er die Situation mit sehr viel Realismus bewertete, andererseits aber auch aus reinem Selbstschutz. Überzogene Erwartungen zu erfüllen ist weitaus schwerer, als alles kleinzureden und dann aus der Position des Underdogs zu überraschen.
Nur einmal in den fünf Sommern wirkte Favre nicht so zweifelnd, sondern strahlte eine gewisse Zufriedenheit aus. Das war im letzten Jahr - zwei Monate später war die Ära des Schweizers bei Borussia beendet.
Sein Nachfolger André Schubert macht vieles anders. Das ist mehr als legitim, schließlich kann und will er kein Favre-Klon sein. Und dennoch ist es nach all den Jahren gewöhnungsbedürftig, dass ein Gladbacher Trainer in der Vorbereitung so viel Optimismus verbreitet.
Die Abgänge von Xhaka und Nordtveit erwähnt Schubert mal in einem Nebensatz, doch bei ihm steht anderes im Vordergrund: Die großen Qualitäten, welche die Neuzugänge mitbringen. Die riesige Palette an tollen Fußballern im Kader, die vielversprechenden Talente. Wenn Schubert über Probleme spricht, dann allenfalls über die Qual der Wahl, die er bald haben wird, weil so viele gute Spieler da sind.
Dazu kommt die allgemeine Situation bei Borussia. Dass Xhaka für eine Rekordablöse nach London verkauft wurde, wird gefeiert, genauso wie die Personalpolitik von Max Eberl. Borussias Sportdirektor hat längst die nächste Stufe erklommen und durfte ein paar Tage mit dem Gerücht kokettieren, dass die Münchener Bayern ihn auf dem Zettel hätten.
Der Klub boomt weiter auf allen Ebenen. Sponsoren geben sich die Klinke in die Hand, selbst die Chinesen haben die Fohlen für sich entdeckt. Die Trikots verkaufen sich wie blöde, die Neuzugänge sind echte Sympathieträger und die Rückholaktion von Christoph Kramer erwärmt den Fußballromantikern das Herz. Alle schwärmen von den tollen Typen in der Mannschaft und alles wirkt so unglaublich makellos.
All das sorgt für eine gewisse Selbstzufriedenheit und schürt einen gewaltigen Erwartungsdruck, selbst wenn offiziell an der Zielsetzung ›Einstelligkeit‹ festgehalten wird und sie bei Borussia die Sache nach dem Motto ›alles kann, aber nichts muss‹ angehen.
Auch objektiv kann man attestieren, dass Borussia mit dem qualitativ besten Kader der Neuzeit in die Saison starten wird. Die Frage wird sein, was daraus gemacht wird. Die Ansätze des ›Schubert-Fußballs‹ sind vielversprechend, aber keinesfalls so ausgereift, dass man sich entspannt zurücklehnen könnte.
Deshalb ist es vielleicht etwas zu viel des Guten, alles nur in schönsten Farben zu malen. Niemand muss den großen Zweifler à la Favre geben, aber keiner im Verein (und außerhalb) sollte die Bodenhaftung verlieren. Zu Beginn warten zwei K.o.-Spiele um die Teilnahme an der Königsklasse gegen einen Top-Gegner und der Ligaauftakt gegen die hochgehandelten Leverkusener. Da könnte sich manches ganz schnell relativieren. Wie schmerzhaft das Erwachen nach einem plötzlichen Sturz von Wolke 7 ist, hat das letzte Jahr gezeigt.