Als bekannt wurde, dass Tobias Stieler als Schiedsrichter für das Topspiel im Borussia-Park angesetzt wurde, verdrehten viele Fans der Gladbacher genervt die Augen. Stieler gehört zu den Unparteiischen, mit denen die Fohlenelf in der Vergangenheit - vorsichtig ausgedrückt - nicht die allerbesten Erfahrungen gemacht hat. Und das setzte sich fort, denn Stieler und sein Gespann sorgten für viele Diskussionen.
Foul von Bensebaini an Scally
Die erste strittige Szene war das Foul von Bensebaini im Strafraum gegen Scally abseits des Balles. Es war natürlich eine unglückliche Situation, dass Bensebaini seinem ehemaligen Mitspieler in die Hacken trat, als sich beide in die Richtung des Balles bewegten, der ins Toraus kullerte. Keiner von beiden hätte den Ball noch erreichen können, es war ein unbeabsichtigter „Unfall" oder ein blöder Zufall und gefühlt wäre es schon recht absurd, dafür einen Elfmeter zu fordern. So ähnlich argumentierte Stieler auch anschließend am Mikrofon von Sky. Was im ersten Moment nachvollziehbar erscheint, entspricht allerdings nicht den Regeln. Denn hier lag ein ganz eindeutiges Foul im Strafraum vor und bei der Beurteilung spielt es keine Rolle, dass dies abseits des Balles geschah und keine Absicht vorlag. Regeltechnisch hätte dieses Foul mit Strafstoß geahndet werden müssen. Stieler und der VAR haben beide entgegen den in diesem Fall eindeutigen Richtlinien entschieden.
Handspiel von Guirassy
Auch in der nächsten Aktion wurde Mönchengladbach ein möglicher Elfmeter verwehrt. Reitz hatte im Strafraum einen Volleyschuss Richtung Tor abgegeben, der an der Hand von Guirassy landete und von dort aus ins Toraus flog. Die Ähnlichkeit zur Szene beim EM-Spiel Deutschland gegen Spanien mit Cucurella war augenfällig. Guirassy berührte den Ball eindeutig mit der Hand und änderte dessen Flugbahn entscheidend. Ganz klar - das hatte der Dortmunder nicht mit Absicht gemacht, es war keine aktive Bewegung in Richtung des Balles und die Armhaltung war nicht unnatürlich. Dennoch wäre ein Elfmeter die logische Konsequenz gewesen – nicht nur wegen der verhinderten Torchance, sondern auch weil bereits unabsichtliche Handberührungen bei Flanken regelmäßig mit Strafstoß geahndet werden. Erneut entschieden Stieler und der VAR gegen Gladbach. Die vagen Formulierungen der Handspielregeln eröffnen Schiedsrichtern und VAR einen derart großen Interpretationsspielraum, dass sich jede Entscheidung irgendwie rechtfertigen lässt. In diesem Fall – Pech für Gladbach, der VAR und Stieler können ihre Hände in Unschuld waschen.
Foul gegen Kleindienst
Der nächste notwendige Eingriff des VAR erfolgte nach der Situation, als Kleindienst von Groß im Fünfmeterraum geklammert und heruntergezogen wurde, als er versuchte, den Ball über die Linie zu drücken. Für den Feldschiedsrichter mag ein Foul vielleicht nicht eindeutig zu erkennen sein, für den VAR allerdings schon. Groß ist nur darauf aus, Kleindienst irgendwie zu stören und hat letztlich gegen den wuchtigen Angreifer keine andere Möglichkeit, als ihn zu klammern und nach unten zu ziehen - und das ist ein Foul. Der Eingriff des VAR war also korrekt und dass Stieler letztlich seine erste Entscheidung revidierte und auf Strafstoß entschied, ebenso. Befremdlich bleibt allerdings, dass der VAR eine gefühlte Ewigkeit benötigte, bis er sich dazu durchringen konnte, Stieler zum Monitor zu beordern. Angesichts der Eindeutigkeit der Bilder hätte dies deutlich schneller erfolgen können.
Gelb-Rote Karte für Tomáš Čvančara
Der übermotivierte Check von Čvančara gegen Sabitzer zog eine berechtigte Gelbe Karte nach sich und die Aktion kurz darauf gegen Schlotterbeck war ein Foul. Dass sich der Tscheche erst theatralisch beim Assistenten beschwerte und dann auch noch den Ball wegwarf, war einfach dumm. Gelb-Rot war eine folgerichtige Entscheidung von Stieler.
Auslegung der ‘Kapitäns-Regel’
Nach den guten Erfahrungen bei der EM im Sommer führte der DFB zur laufenden Saison die sogenannte ‘Kapitäns-Regel’ ein. Demnach ist der Mannschaftskapitän der einzige Spieler, der mit dem Schiedsrichter über wichtige Entscheidungen sprechen darf. Spieler, die sich nicht an diese Regel halten, beim Schiedsrichter reklamieren oder sich respektlos verhalten, werden mit einer Gelben Karte verwarnt. Zieht man das Borussen-Duell in Bezug auf diese Regelung heran, so muss man davon ausgehen, dass sich das mit der ‘Kapitäns-Regel’ zwischenzeitlich erledigt hat. Oder aber es lag ein Fehler auf dem Spielberichtsbogen vor und anstatt Nico Schlotterbeck war Marcel Sabitzer Kapitän des BVB. Sabitzer jedenfalls lamentierte permanent. Er gestikulierte, winkte ab, textete immer wieder in Richtung des Unparteiischen und beschwerte sich offensichtlich über dessen Entscheidungen. Und Stieler? Bewahrte die Contenance, redete mit Sabitzer, beruhigte ihn. Mag Sabitzer auch ein eloquenter Gesprächspartner sein - dass ausgerechnet der sonst so akribische Tobias Stieler die ‘Kapitäns-Regel’ derart großzügig auslegt, überrascht zunächst. Bei genauerer Betrachtung fügt sich diese Inkonsequenz jedoch in sein Gesamtauftreten ein.
von Marc Basten