Als Dieter Hecking im Winter die arg ins Trudeln geratene Fohlenelf übernahm, blieb ihm nicht viel Zeit. Die sehr kurze Vorbereitung nutzte der erfahrene Coach nahezu perfekt, drehte an den richtigen Stellschrauben und führte die Mannschaft unerwartet schnell aus der Gefahrenzone.
Gelegenheit, neben den überlebenswichtigen Sofortmaßnahmen weitere Vorstellungen umzusetzen, hatte Hecking im Verlauf der Rückrunde kaum. Durch viele Ausfälle gab es wenig Spielraum für Experimente.
Die lange Sommervorbereitung hätte nun die Möglichkeit für den Trainer eröffnet, Borussia nach seinem Gusto umzukrempeln. Doch man darf beruhigt feststellen, dass Hecking weit davon entfernt ist, Borussia neu erfinden zu wollen. Dass er die Dreier- bzw. Fünferkette trainieren lässt, ist als reine Ergänzung zum bestehenden System gedacht und soll nur den Reaktionsspielraum erweitern.
Favre war ein Meister des Understatements
Ansonsten baut Hecking auf die bewährten Strukturen und behält weiter seine klare Linie bei. Das zeigt auch die Tatsache, dass er die Vorbereitung anders ‚moderiert‘ als seine Vorgänger. Lucien Favre war neben aller Genialität auch ein Meister des Understatements. Jahr für Jahr malte er Horrorszenarien, jammerte den Abgängen hinterher und erstickte jegliche Euphorie im Keim.
Das war natürlich auch eines der Erfolgsgeheimnisse von Favre, die er aus reinem Selbstschutz pflegte. Wenn das Umfeld zur Skepsis erzogen wird und die Erwartungen klein sind, ist die Fallhöhe geringer und positive Entwicklungen werden weitaus mehr gewürdigt.
André Schubert war im letzten Jahr der genaue Gegenentwurf zu Favre. Angestachelt von der sensationellen Aufholjagd auf Platz 4 sprühte er nur so vor Enthusiasmus. Die Abgänge von Xhaka & Co wurden nur am Rande thematisiert, ansonsten verging keine Presserunde, ohne dass Schubert seine Mannschaft nicht über den grünen Klee lobte.
Hecking lässt keinen Spielraum für Fehlinterpretationen
Die Begeisterung, die Schubert angesichts der Qualität empfand, mit der er erstmals im Profibereich arbeiten durfte, war nicht gespielt. Er übersah allerdings, dass gleichzeitig die Erwartungshaltung im Umfeld ins Unermessliche wuchs. Vor einem Jahr gab es gefühlt kein Limit für diese Borussia.
Das Ergebnis ist bekannt. Die Landung war hart und schmerzvoll, Schubert blieb auf der Strecke und beim Krisenmanagement hätte sich Max Eberl um ein Haar verbrannt. Der Sportdirektor räumte zum Höhepunkt der Krise im Spätherbst den Fehler ein, nicht vorausschauend den Mahner im Stile Favres gegeben zu haben.
Derartige Sorgen muss sich Eberl in diesem Jahr nicht machen. Dieter Hecking lässt mit seiner Herangehensweise keinen Spielraum für Fehlinterpretationen. Er spricht positive Dinge sachlich und nüchtern an, gleichzeitig redet er bei negativen Entwicklungen nicht um den heißen Brei herum. Wenn die Mannschaft, wie in einigen Vorbereitungsspielen, den Biss vermissen lässt, stellt sich Hecking anschließend hin und spricht genau das von sich aus an.
Der Trainer ist authentisch und das merken auch die Spieler
Überhaupt ist seine Kommunikation nach außen eine Wohltat. Hecking nimmt für sich nicht in Anspruch, die Deutungshoheit des Fußballs zu haben. Das erleichtert die Zusammenarbeit, weil sie auf Augenhöhe stattfindet. Noch wichtiger ist, wie die interne Kommunikation funktioniert. Aus Mannschaftskreisen ist da, auch abseits offizieller Statements, viel positives zu vernehmen. Hecking ist authentisch und das merken die Spieler.
Die Arbeit auf dem Trainingsplatz in den vergangenen Wochen bestätigt den erfreulichen Eindruck, den Hecking in seinem ersten halben Jahr in Gladbach hinterlassen hat. Es wird intensiv trainiert, die Mannschaft wirkt körperlich sehr weit, fußballerisch findet eine kollektive Entwicklung statt und die Integration der Neuzugänge geht nahezu geräuschlos vonstatten.
Freilich ist das alles keine Garantie, dass Borussia unter Hecking eine erfolgreiche Saison spielen wird. Dennoch machen die Voraussetzungen Mut, dass der Trainer die Mannschaft mit seiner Besonnenheit auch durch die Phasen führen kann, in denen es mal nicht so rund läuft. Und dass das Umfeld Heckings nüchternen Realitätssinn entsprechend mittragen wird.