Einwurf zur Vertragsauflösung von Christoph Kramer

Ein Abschied zwischen Schmerz und Vernunft

Created by Einwurf zur Vertragsauflösung von Christoph Kramer

Christoph Kramer wird künftig nicht mehr für Borussia jubeln (Foto: Norbert Jansen - Fohlenfoto)

Christoph Kramer und Borussia Mönchengladbach gehen getrennte Wege, der Vertrag des 33-Jährigen wurde aufgelöst. Der tränenreiche Abschied ging jedem Borussen an die Nieren, aber angesichts der offensichtlichen sportlichen Perspektivlosigkeit von Kramer erscheint dieses Ende die einzig vernünftige Lösung. Auch wenn Fragen bleiben.

Selbst die hart gesottenen Fans von Borussia Mönchengladbach mussten am Freitag heftig schlucken und haben möglicherweise selbst ein Tränchen verdrückt, als sie das Video von Christoph Kramer mit seinem ‘Abschiedsgruß’ in den sozialen Medien gesehen haben. Kramer heulte von Beginn an und obwohl man weiß, dass er ein absoluter Medienprofi ist, waren die Tränen echt und es war unzweifelhaft, dass ihn sein Ende als Borusse tief berührt.

Mit Christoph Kramer verlässt der letzte Spieler der Ära Lucien Favre die Borussia. 2013 war der damalige Zweitligaspieler beim VfL Bochum nur zufällig in den Fokus der Gladbacher geraten, die eigentlich einen gewissen Leon Goretzka von einem VfL zum anderen lotsen wollten. Doch Goretzka entschied sich für den zu jener Zeit lukrativeren Wechsel nach Schalke, während sich die Borussen mit einer zweijährigen Leihe des noch bei Bayer Leverkusen unter Vertrag stehenden Kramer begnügen mussten. 

Ein modernes Fußballmärchen

Doch die erwies sich als Volltreffer, weil der schlaksige Mittelfeldspieler mit seiner Ballsicherheit und dem guten Raumgefühl ausgezeichnet in das Konzept des kontrollierten Gladbacher Fußballs unter Lucien Favre passte. Dass Christoph Kramer in seiner Premierensaison gleich Nationalspieler wurde, es gänzlich überraschend in den WM-Kader schaffte und schließlich in der Startelf des WM-Finales stand, ist ein modernes Fußballmärchen. Die Geschichte mit dem Filmriss im Finale ist tausendfach erzählt und erreicht in seinen Dimensionen bereits das Level der Selbsteinwechslung von Günter Netzer im Pokalfinale 1973.

In einem Jahr vom Zweitligakicker zum Weltmeister - diesen Karrierebooster konnte auch ein so intelligenter Bursche wie Christoph Kramer nicht so einfach verarbeiten. Es war verständlich, dass der plötzliche Ruhm ihn an der einen oder anderen Stelle aus der Bahn zu werfen drohte. Sportlich gab es Phasen, als er meinte, als Weltmeister nun ganz besondere Dinge auf dem Platz zeigen zu müssen. Das kam nicht gut an, aber Kramer war selbstreflektiert genug, um zu erkennen, was er kann und was er besser lassen sollte und wurde eine tragende Säule bei Borussias erstmaliger Qualifikation für die Champions-League. 

Renaissance unter Daniel Farke

Die Früchte des Erfolgs konnte er nicht ernten, denn im Sommer 2015 endete sein Leihvertrag in Gladbach und er kehrte nach Leverkusen zurück. Im dortigen System unter Trainer Roger Schmidt fand er sich nicht wirklich zurecht und spielte am Ende in der Innenverteidigung. Er hatte zwar seine Einsatzzeiten, doch letztlich konnte er nur in ganz wenigen Partien an die Leistungen anknüpfen, die ihn in Gladbach zum Nationalspieler machten. Die Nichtberücksichtigung bei der Europameisterschaft 2016 war die logische Folge. Die Rückkehr nach Mönchengladbach, die sich die Borussen im Jahr 2016 die damalige Rekordablöse von 15 Millionen Euro kosten ließen, war für Kramer ein ‘Neuanfang zu Hause’.

Kramer spielte Champions-League unter André Schubert, wurde unter dessen Nachfolger Dieter Hecking erst zur Stammkraft und geriet dann verletzungsbedingt ins Hintertreffen. Als Marco Rose kam und einen neuen Spielstil einführte, musste sich Christoph Kramer in gewisser Hinsicht neu erfinden, doch er bekam das recht ordentlich hin. Derweil hatte Adi Hütter in seinem Jahr in Gladbach kaum Verwendung für Kramer. Unter Daniel Farke wiederum erlebte Kramer eine Renaissance und im Januar 2023 wurde sein im Sommer auslaufender Vertrag bei Borussia vorzeitig bis 2025 verlängert. »Ich habe immer betont, wie wohl ich mich hier bei Borussia fühle, dem Verein viel zu verdanken habe und gerne hier bis zum Ende meiner Karriere bleiben würde. Ich habe derzeit sehr viel Spaß daran, für Borussia zu spielen. Deshalb freue ich mich, dass ich noch länger hierbleiben darf«, sagte Kramer vor anderthalb Jahren.

Seoane hat keine Verwendung für Kramer

Doch der Spaß verging Kramer zusehends, nachdem Daniel Farke von Gerardo Seoane abgelöst wurde. Der Schweizer setzte nicht auf den Routinier, zumal dieser aufgrund Verletzungen und Krankheiten immer wieder aus dem Trainings-Rhythmus gebracht wurde. Letztlich kam Kramer in der abgelaufenen Saison lediglich auf 345 Pflichtspielminuten. Auch wenn sich der 33-Jährige in diesem Sommer fit in Gladbach zurückmeldete, wurde ihm sehr deutlich gemacht, dass die sportliche Leitung nicht mehr mit ihm plant. 

Durch das vorhandene Überangebot an Mittelfeldspielern hat Gerardo Seoane keine Verwendung für Kramer. Dass der Trainer dies so sieht, muss man ihm kraft Amtes zugestehen. Ob er damit komplett richtig liegt, ist von außen nicht so einfach zu beurteilen. Fakt ist, dass unter diesen Umständen nur eine Trennung Sinn ergeben hat. Diese lag im beiderseitigen Interesse: Kramer wollte nicht ein Jahr auf der Tribüne versauern und die Borussen hätten es sich nicht erlauben können, Kramer ein kolportiertes Jahresgehalt von 4 Millionen Euro fürs Nichtstun zu bezahlen. 

Kramer wäre für Borussia in einer neuen Funktion Gold wert gewesen

Die nun erfolgte Vertragsauflösung hat die Borussen natürlich auch einen gehörigen Abfindungsbetrag gekostet, aber der finanzielle Schaden wurde zumindest ein wenig minimiert. Auf der anderen Seite hat man damit Kramers Wunsch, seine Karriere bei Borussia zu beenden, nicht erfüllt. Viele Fans hatten sich erhofft, dass Kramer der Borussia auch nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn erhalten bleiben würde. Schließlich hat Kramer nie einen Hehl daraus gemacht, was dieser Klub ihm bedeutet - sein emotionales Abschiedsvideo ist diesbezüglich ein letzter Beweis. 

Christoph Kramer hatte in seiner Zeit für Borussia Mönchengladbach ein besonderes Gewicht. Das lag nicht allein an seinen sportlichen Leistungen, sondern zu einem gehörigen Teil auch an seiner Entwicklung zum Medienstar abseits des Rasens. Mit seiner eloquenten Art wurde Kramer zu einem gefeierten TV-Experten. Kramer redet gerne und manchmal vielleicht auch etwas viel, aber er wirkt dabei stets natürlich und echt. Das kommt beim Publikum an und von diesen Sympathiewerten profitierte auch Borussia Mönchengladbach enorm. Selbst unter dem Aspekt, dass in den vergangenen Jahren die Balance zwischen Kramers außersportlicher Präsenz und seinen Leistungen auf dem Spielfeld nicht immer passte. 

Kramer stehen nach der aktiven Karriere alle Türen offen

Doch natürlich wäre ein Christoph Kramer für Borussia auch in einer neuen Funktion Gold wert gewesen. Dass der Verein außerhalb des Platzes eine Identifikationsfigur benötigt, steht unzweifelhaft fest. Nach Max Eberl ist hier in der Außenwirkung eine Lücke entstanden, die - bei allem Respekt - ein Roland Virkus nicht füllen kann. Und auch sonst fehlt der Borussia ein ‘Gesicht’, für das Christoph Kramer prädestiniert gewesen wäre. In welcher Funktion genau hätte man mit vernünftiger Planung leicht abstecken können - im Erfinden von Bezeichnungen für Direktoren- und Koordinatorenposten ist man bei Borussia in jüngster Zeit ja ohnehin sehr kreativ. 

Doch durch die Vertragsauflösung dürften sich derartige Gedankenspiele erledigt haben. Allerdings muss man auch festhalten, dass Christoph Kramer für die Zeit nach der Karriere beruflich alle Türen offenstehen. Seine exzellente Vorarbeit mit der Expertentätigkeit beim ZDF wird dafür sorgen, dass er unter vielen lukrativen Jobs wählen kann. Da hätte man sich bei Borussia schon einiges einfallen lassen und ihm eine wirklich anspruchsvolle und einflussreiche Position anbieten müssen. 

Ein toller Mensch, der in all den Jahren immer authentisch geblieben ist

So aber endet das Kapitel Christoph Kramer und Borussia Mönchengladbach in diesen Tagen mit viel Schmerz und etwas Vernunft. Auch wenn Kramer zuletzt keine so bedeutende sportliche Rolle eingenommen hat, geht mit ihm ein in allen Belangen wertvoller Spieler und ein toller Mensch, der in all den Jahren immer authentisch geblieben ist. Wohin auch immer es ihn auf der Zielgeraden seiner aktiven Laufbahn und in der Zeit danach verschlagen wird - man kann ihm nur alles erdenklich Gute wünschen. Und alle Gladbacher können sich sicher sein - Christoph Kramer wird immer ein Borusse bleiben - und wenn auch nur im Herzen.

 


von Marc Basten
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