Es gab Phasen in der ersten Halbzeit in Müngersdorf, da setzte so ein wohliges Kribbeln ein und es bildeten sich trotz spätsommerlicher Temperaturen Ansätze einer Gänsehaut. Die Intensität, mit der die Gladbacher die Bälle eroberten, die Wucht, mit der sie nach vorne preschten und die Kölner zu überrollen schienen - das war dominanter Powerfußball. Doch nicht nur das - die Borussen spielten auch richtig feinen Fußball und gaben mehr als nur einen Vorgeschmack auf das, was mit dieser Mannschaft einmal möglich sein kann.
Die Erkenntnis, dass Borussia noch nicht so weit ist, folgte allerdings auf dem Fuße. Der Ansatz der Gänsehaut vor Begeisterung wich in Bruchteilen von Sekunden dem Ärger, weil die so vielversprechend erarbeiteten und erspielten Situationen nicht finalisiert wurden. Es waren nicht nur die klaren Chancen, die Plea, Neuhaus & Co ungenutzt ließen, sondern eine Vielzahl weiterer bärenstarke Kombinationen an und in den Kölner Sechzehner wurden ohne Abschluss verdaddelt. Eigentlich hätten die Fohlen bereits in der ersten Halbzeit die Partie für sich entscheiden müssen.
Nach der Pause war von der Dominanz, welche die Borussen über weite Strecken des ersten Durchgangs ausgestrahlt hatten, nicht mehr viel zu sehen. Einerseits, weil die bis dahin extrem harmlosen Kölner gezwungenermaßen etwas mehr Mut fassten, andererseits aber auch, weil den Gladbachern zusehends die Dynamik fehlte. Einige Spieler begannen auffällig früh, nicht mehr jeden Laufweg auf sich zu nehmen. Dadurch ›verrutschte‹ die Statik des Spiels, weil die Borussen nun tiefer standen und der Weg vors Kölner Tor viel weiter war als zuvor. Das führte dazu, dass Gladbach teilweise agierte wie Köln im ersten Durchgang: Langholz hinten raus und hoffen, dass die Stürmer sich durchwühlen.
Das funktionierte nicht wirklich, auch weil Thuram & Co der Sprit ausging, zweite Bälle nicht mehr gesichert wurden und die weiteren Gelegenheiten, das 2:0 zu markieren und sich damit das Leben deutlich leichter zu machen, ungenutzt blieben. Bemerkenswert jedoch, dass die Mannschaft im Kollektiv die Ordnung hielt und nach und nach jeder Spieler über die Schmerzgrenze hinaus ging. In der ›Crunchtime‹ bedurfte es dennoch den hervorragenden Reflexen von Yann Sommer, um den Sieg zu retten.
Dass die Borussen Müngersdorf (mal wieder) als Gewinner verließen, war unter dem Strich klar verdient. Sie hätten es sich - und den Anhängern - wesentlich leichter machen können, wenn sie die teilweise überragend herausgespielten Chancen konsequenter genutzt hätten. Man hat erneut gesehen, wo es mit dem ›Rose-Fußball‹ hingehen kann und soll und gleichzeitig wurde deutlich, dass in allen Bereichen noch viel Luft nach oben ist. Angesichts des strammen Programms in den nächsten Wochen war der Erfolg doppelt wichtig und bringt die geforderte Signalwirkung. Bei Borussia entsteht etwas, das noch längst nicht ausgereift ist, aber es ist schon so gut, dass es für das Gladbacher Selbstverständnis des Derbysiegers reicht.
von Marc Basten