Nach dem Schlusspfiff im Borussia-Park waren sich die Beobachter nicht ganz einig, wie sie die 1:3 Heimniederlage der Borussia gegen RB einordnen sollten. War es schlichtweg nur die unbestreitbare Klasse des Gegners, der letztlich eine Nummer zu groß war? Oder war es doch die etwas naive Herangehensweise von Marco Rose, mit einer im Umbau befindlichen Mannschaft ausgerechnet dem Großmeister des ‚aktiven Stressfußballs‘ mit offenem Visier zu begegnen?
Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Ohne Zweifel verfügt RB über eine außergewöhnliche individuelle Klasse und Spieler wie Timo Werner, die den Unterschied ausmachen können. Aber vor allem verfügt Leipzig über eine Spielphilosophie, die seit Jahren eingeschliffen wird. Dieser Fußball ist noch lange nicht perfekt, aber er ist dem, was Marco Rose seit ein paar Wochen in Mönchengladbach etablieren will, weit voraus. Dies wiederum ist keine neue Erkenntnis und von daher erscheint es tatsächlich etwas blauäugig, Leipzig zu so einem frühen Zeitpunkt bereits mit den eigenen Waffen schlagen zu wollen.
Rein ergebnisorientiert war es Harakiri, so gegen RB aufzutreten. Doch an diesem Abend ging es um mehr, als sich irgendwie einen Punkt zu erschleichen und sich durchzuwurschteln. Es war ein Stresstest erster Güte und eine Standortbestimmung auf dem höchsten Level. Würden die Spieler den Mut und auch die Qualität haben, sich diesem Gegner mit der Bereitschaft entgegenzustellen, den eigenen neuen Stil durchzuziehen? Stehen sie hinter den Ideen des neuen Trainers und sind sie gewillt, diese auch gegen noch so große Widerstände umzusetzen? Und nicht zuletzt: Schaffen sie es, einer Mannschaft, die fußballerisch dort ist, wo man gerne hin möchte, auf Augenhöhe zu begegnen?
All diese Fragen wurden am Freitag positiv beantwortet. Der Niederlage zum Trotz hat Borussia Mönchengladbach einen weiteren Schritt nach vorne gemacht. Noch immer knarzt und knackt es im Gebälk, vieles wirkt wild und unkoordiniert, weiterhin ist man weit von der Idealvorstellung entfernt. Die Balance, der Rhythmus, die individuelle und kollektive Entscheidungsfindung - an allen Stellschrauben muss noch gedreht und justiert werden. Doch die grundsätzlichen Dinge, wie Wille und Überzeugung sind gegeben und das ist zu diesem Zeitpunkt entscheidend. Das Zeichen, dass alle ›das Ding‹ durchziehen wollen, auch wenn man sich mal mit Ansage eine blutige Nase holt, ist eminent wichtig.
So überwiegt nach der verständlichen Enttäuschung über die Niederlage letztlich die Erkenntnis, dass dieser Freitagabend ein weiterer und vielleicht sogar bedeutender Schritt nach vorne war. Der bedingungslose Einsatz, die Leidenschaft und auch die deutlich verbesserten spielerischen Komponenten wurden von den Zuschauern nicht nur registriert, sondern honoriert. Es geht voran bei Borussia und unter diesen Voraussetzungen scheint das Derby in zwei Wochen genau zum richtigen Zeitpunkt zu kommen.
von Marc Basten