Die wichtigste Erkenntnis des Abends war alles andere als überraschend, aber sie kam doch einer Offenbarung gleich: Der Fußball lebt von den Fans und den Emotionen. Nach anderthalb Jahren mehr oder weniger klinischem Ambiente war dieses Match vor 22.925 Zuschauern ein Gänsehauterlebnis für alle. Man konnte nicht nur Fußball sehen, sondern ihn endlich wieder spüren und erleben.
Es gab schon unzählige Spiele in einem ausverkauften Borussia-Park, bei denen es deutlich leiser war, als an diesem Freitagabend. Natürlich trug auch das Geschehen auf dem Platz dazu bei, dass diese echte Fußballatmosphäre aufkam. Die Borussen begannen im ‚Vollgas-Stil‘, holten damit direkt die Fans ab und sorgten gleichzeitig bei den Bayern für ziemliche Unordnung. Der Führungstreffer nach zehn Minuten war die Belohnung für diese beherzte Herangehensweise.
Yann Sommer parierte wie ein Verrückter
Danach wurden die Karten neu gemischt. Die Bayern groovten sich ein, die Borussen nahmen gezwungenermaßen den Fuß vom Gas. Im Verlauf der ersten Halbzeit wurde die Überlegenheit der Bayern fast erdrückend. Hier gilt es aus Gladbacher Sicht mit der Kritik anzusetzen. Die Lauf- und Verteidigungsbereitschaft war zwar lobenswert, aber es gab zu wenig Kontrolle und zu viele relativ einfache Ballverluste. Ohne einen Yann Sommer in Weltklasse-Form wäre der Ausgleich schon früher gefallen.
Dass die Bayern vor dem Pausenpfiff egalisierten, war vom Spielverlauf her verdient – und dennoch superärgerlich für den VfL, weil Elvedi mit seinem Sekundenschlaf gegen Lewandowski das Tor quasi herschenkte. Zu Beginn der zweiten Halbzeit sah es so aus, als ob die Bayern für klare Verhältnisse sorgen könnten. Yann Sommer parierte wie ein Verrückter, aber es schien nur noch eine Frage der Zeit, wann es hinter ihm einschlagen würde.
Fohlen mit der zweiten Luft – Qualität von der Bank
Die Borussen wankten bedenklich, aber sie fielen nicht. Im Gegenteil – sie fanden zurück in die Partie. Das hatte auch damit zu tun, dass Hütter von der Bank mit Thuram und Hofmann echte Qualität nachlegen konnte. Die Fohlen bekamen die zweite Luft und drängten nun ihrerseits wieder verstärkt nach vorne. Wie schon in der Anfangsphase bereitete die forsche und zielstrebige Spielweise der Gladbacher den Bayern sichtliche Probleme. Schade, dass Stindl und Thuram den neuerlichen Führungstreffer verpassten.
Schon da stand der halb gefüllte Borussia-Park kurz vor der Explosion, die es dann nach dem ‚Doppelfehler‘ von Schiedsrichter und VAR gab. So ärgerlich es aus Gladbacher Sicht war, dass gleich zwei Elfmeter nicht gegeben wurden – der Rabatz, den das Publikum machte, war Genuss pur. Weniger schön natürlich die Tatsache, dass die Regelwächter des DFB die bei der EM gewonnene Akzeptanz eines VAR gleich beim ersten Saisonspiel wieder in den Sand setzten. Bei der ersten Situation bestätigen die Bilder unzweifelhaft den Eindruck, den man auch von der Tribüne hatte: Upamecano bringt Thuram regelwidrig aus dem Tritt, der fällt und ist keine Anspieloption mehr bei diesem Angriff – das ist ein klarer Elfmeter.
Borussia wurde entscheidend benachteiligt
Bei der zweiten Aktion kann man möglicherweise noch anmerken, dass Thuram den Elfmeter etwas zu sehr haben will. Aber die Kontakte sind deutlich und in der Summe sind sie auch ausschlaggebend, dass Thuram fällt. Also wäre auch hier ein Pfiff die richtige Entscheidung gewesen. Ob die Einschätzungen von Marco Fritz auf dem Platz und Christian Dingert im Kölner Keller etwas mit dem vielzitierten ‚Bayern-Bonus‘ zu tun haben oder ob sie es einfach nicht besser können, ändert nichts an der Tatsache, dass Borussia entscheidend benachteiligt wurde.
Letztlich ist dieses Remis aber ein gerechtes Resultat in einem Spiel, das beide Mannschaften gewinnen wollten. Wie erwartet war auf beiden Seiten noch deutlich Sand im Getriebe, aber die grundsätzliche Herangehensweise der Borussen und vor allem die Tatsache, dass man nach hinten heraus zulegen und mit Mut und Klasse eine sich anbahnende Niederlage abwenden konnte, ist mit Blick auf die kommenden Wochen durchaus vielversprechend.
von Marc Basten