Dass in der DNA von Borussia Mönchengladbach die Tragik des Scheiterns ein fester Bestandteil ist, dürfte mittlerweile jeder wissen. Wem es bisher noch nicht bekannt war, der wird spätestens seit der umfangreichen Berichterstattung im Vorfeld der Partie bei Real Madrid mit diesem Umstand vertraut gemacht worden sein. Das Szenario, dass die Gladbacher nach einer tollen Gruppenphase am letzten Spieltag alles verpatzen und verpassen würden, war für viele eine ausgemachte Sache. Und lange sah es genau danach aus.
Während Marco Rose vor dem Spiel nicht müde wurde, Mut und Entschlossenheit bei seiner Mannschaft heraufzubeschwören, war die Umsetzung auf dem Platz sehr ernüchternd. Obwohl die vermeintlich stärkste Elf ins Rennen geschickt wurde, enttäuschte Borussia auf ganzer Linie. Das hatte natürlich auch mit der Qualität des Gegners zu tun. Real Madrid führte den Borussen ziemlich beeindruckend vor Augen, mit wie viel Überzeugung ein Spitzenteam in so einer komplizierten Lage ein ‘Endspiel’ bestreiten kann. Von der ersten bis zur letzten Minute strahlten die Spieler von Real die absolute Siegesgewissheit aus und ließen zu keinem Zeitpunkt auch nur den Hauch eines Zweifels an der eigenen Stärke aufkommen.
Das Endergebnis von 0:2 drückt die Kräfteverhältnisse nicht mal annähernd richtig aus
Und was setzten die Borussen dem entgegen? Nun, sie spielten in der Anfangsphase ganz gefällig mit. Mehr aber auch nicht. Es gelang ihnen nicht, das Ballbesitzspiel von Real nachhaltig zu blockieren und eigene Nadelstiche zu setzen. Statt eklig dagegenzuhalten und Kroos & Co so richtig auf den Keks zu gehen, ließ man sie größtenteils gewähren. Die Borussen agierten zwar nicht komplett passiv, aber eben auch nicht so ge- und entschlossen, wie es nötig gewesen wäre. Und letztlich machten sie den Madrilenen das Toreschießen viel zu leicht. Eine unbedrängte Halbfeldflanke und ein simpler Kopfball reichten Real, um früh die Weichen zu stellen. Das Abwehrverhalten der Gladbacher - sowohl gegen den Flankengeber, als auch bei der ‘Bewachung’ von Benzema - war völlig untauglich.
Richtig gruselig war es beim 0:2, das nach dem gleichen Muster fiel. Wieder wurde eine Flanke nicht verhindert, wieder stand der Mittelstürmer des Gegners alleine in der Box. Und es hätte im weiteren Verlauf sogar noch schlimmer kommen können, denn Benzema hatte noch zwei weitere Gelegenheiten nach diesem Schema, weil der Lerneffekt bei den Borussen gleich Null war. Die Körpersprache von Ginter und Kollegen drückte vor allem eine große Leere aus. Letztlich darf man sich bei den Fohlen glücklich schätzen, dass viermal das Aluminium rettete und Real früh begann, nicht unnötig Körner zu vergeuden. Das Endergebnis von 0:2 drückt die Kräfteverhältnisse nicht mal annähernd richtig aus.
Ein Streichergebnis steht Borussia zu
Dass die Borussen weit nach Schlusspfiff dennoch ausgelassen über den Platz hüpften und sich freudetrunken in den Armen lagen, mutete angesichts der 90 Minuten befremdlich an. Der Auslöser für den späten Emotionsausbruch war der Abpfiff des Parallelspiels in Mailand, das torlos endete. Genau dieses Remis benötigten die Gladbacher, damit es trotz der Niederlage für Platz 2 in der Gruppe reicht. Das ist wirklich untypisch für Borussia: Statt vor dem Ziel tragisch zu scheitern, hat man sich am letzten Spieltag durchgemogelt, weil die Konkurrenz das passende Resultat geliefert hat. Das ist fast genauso historisch, wie die erstmalige Teilnahme am Achtelfinale der Champions League.
Unter dem Strich ist der zweite Platz für Borussia Mönchengladbach unzweifelhaft verdient. Die Mannschaft hat sich in einer höchst anspruchsvollen Gruppe durchgesetzt, zweimal mit Pech in Mailand und gegen Madrid am Ende noch vier Punkte und unter unglücklichen Umständen zuhause gegen Inter das Spiel verloren. Die beiden überzeugenden Siege gegen Schachtar Donezk werden durch die Gesamtleistung der Ukrainer in dieser Gruppe nachträglich nochmals aufgewertet und letztlich war nur der Auftritt in Madrid schwach. Ein Streichergebnis steht Borussia zu und deshalb dürfen sich alle uneingeschränkt über das Erreichen der K.o.-Runde in der Champions League freuen. Das Thema ‘Tragik des Scheiterns’ wird damit auf das neue Jahr vertagt.
von Marc Basten