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Belgische Angsthasen und Cristianos getrocknete Tränen

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Cristiano Ronaldo bedankt sich bei Elfer-Held Diogo Costa (Foto: Dan Mullan - Getty Images)

Am Montag setzte sich ein übervorsichtiges Frankreich in einem enttäuschenden Achtelfinale durch ein Eigentor gegen die noch größeren Angsthasen aus Belgien durch, danach verzweifelten Ronaldo und Portugal fast an Slowenien. Doch die Slowenen blieben auch im Elfmeterschießen torlos und trockneten Ronaldos Tränen. Die EM-Kolumne, Teil 16.

Am frühen Abend stand Frankreich gegen Belgien auf dem Programm und angesichts der Spieler, die sich da auf dem Rasen der Düsseldorfer Arena versammelten, war alles bereitet für einen spektakulären Schlagabtausch. Zumindest in der Theorie. Doch so etwas funktioniert nicht, wenn es Didier Deschamps und Domenico Tedesco sind, die vorgeben, wie gespielt werden soll. Beide hatten strengste Risikovermeidung angeordnet und so wurde es ein Spiel, bei dem man beruhigt ein Nickerchen halten konnte, ohne etwas zu verpassen. 

Ja, man kann die beiden Trainer als große Taktiker feiern und am Ende durfte sich Deschamps sogar ernsthaft hinstellen und unwidersprochen erzählen, dass es ein “tolles Spiel” gewesen sei. Dies aber nur, weil seine Franzosen etwas mehr getan hatten und trotzt nie gelöster Handbremse durch ein Tor gewannen, das wie die Faust aufs Auge zu diesem Spiel passte. Der eingewechselte Randal Kolo Muani schoss sich in der 85. Minute selbst ans Standbein, von wo der Ball vom Belgier Jan Vertonghen so ins eigene Tor abgefälscht wurde, dass die UEFA es als Eigentor wertete. 

Unansehnliche und hasenfüßige Herangehensweise 

Gewiss, es ist nicht verboten, sich mit pragmatischem Minimalismus und doppelt und dreifach abgesichert durch ein Turnier zu würgen. Doch diese Art, wie es Frankreich, Belgien oder auch England bei dieser EM versuchen, ist angesichts des fußballerischen Potenzials dieser Mannschaften eine unansehnliche und hasenfüßige Herangehensweise, die im Falle Frankreich und England hoffentlich nicht mit dem Titel belohnt wird. Leider musste bei Belgien gegen Frankreich einer weiterkommen - Frankreich steht im Viertelfinale. 

Dort treffen die Franzosen auf Portugal, das in der Vergangenheit ebenfalls für eher langweiligen Ergebnisfußball stand. Doch mittlerweile orientieren sich die Portugiesen eher am aktiven Stil der Spanier und auf diese Art versuchten sie es auch, im zweiten Achtelfinale des Tages die Slowenen zu bespielen. In der ersten Viertelstunde drängte Portugal Slowenien tief zurück, erspielte sich gute Chancen und alles sah so aus, als ob die Portugiesen den Gegner so erdrücken würden, wie es die Spanier am Vorabend mit den tapferen Georgiern gemacht haben. 

Exzellent verteidigende Slowenen

Doch die Slowenen befreiten sich, setzten ihrerseits Nadelstiche und überzeugten danach mit einer derart disziplinierten Arbeit gegen den Ball, dass die Portugiesen von Minute zu Minute ratloser wurden. Es war offensichtlich, dass die groß gewachsenen Athleten aus Slowenien in der Lage waren, Portugals Zielspieler Cristiano Ronaldo auszubremsen. Und als sie es geschafft hatten, den zu Beginn so starken Rafael Leao auf der linken Seite zu kontrollieren, wurde es für Portugal richtig kompliziert. 

In der zweiten Halbzeit taten sie sich immer schwerer und so ging es torlos in die Verlängerung. Das Spiel war schon längst nicht mehr hochklassig, aber es wurde dramatisch. Portugal erhielt einen berechtigten Elfmeter, aber Cristiano Ronaldo scheiterte an Jan Oblak. Die Verzweiflung stand Ronaldo ins Gesicht geschrieben, beim Seitenwechsel fingen die Kameras die Tränen des Superstars ein. Portugal mühte sich, schaffte es aber nicht, die weiterhin exzellent verteidigenden Slowenen zu überwinden. 

Uwe-Kamps-Vibes beim Elfmeterschießen

Die wiederum hatten nach einem Fauxpas von Oldie Pepé durch Leipzigs Benjamin Sesko in der 115. Minute die Riesenchance auf den Lucky Punch, aber Portugals bis dahin nahezu beschäftigungsloser Torhüter Diogo Costa reagierte herausragend. Im anschließenden Elfmeterschießen wurde er dann endgültig zum Man of the Match. Die älteren Gladbach-Fans werden leichte Uwe-Kamps-Vibes von 1992 verspürt haben, als sich Diogo Costa als gnadenloser Elfmeterkiller erwies. Er hielt die Elfmeter von Josip Iličič, Jure Balkovec und Benjamin Verbič, während Cristiano Ronaldo, Bruno Fernandes und Bernardo Silva sicher trafen. So behielt Diogo Costa nach 120 Minuten plus Elfmeterschießen die weiße Weste - ein Novum in der EM-Historie. 

Die Tränen von Cristiano Ronaldo waren derweil wieder getrocknet. Man muss ihn nicht verehren und auch nicht mögen, aber er verdient allerhöchsten Respekt, über all die Jahre auf einem solchen Niveau zu spielen. Und daher war es auch keine schlechte Pointe an diesem Abend, dass all diejenigen, die nach dem verschossenen Elfmeter ihre kleingeistige Häme und Schadenfreude in den sozialen Medien kundgetan haben, am Ende die Bilder des triumphierenden Cristiano Ronaldo über sich ergehen lassen mussten. 

 

von Marc Basten

 

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