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Auch der Fußball kann gerecht sein - Spanien holt den Titel

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Spanien ist ein verdienter Europameister (Foto: Lars Baron - Getty Images)

Spanien ist Europameister - und das völlig verdient. Am Sonntag im Finale setzten sich die Spanier mit 2:1 gegen England durch. Die Engländer kamen erst dann aus ihrer Haut, als sie es mussten und dieses Mal reichte es trotzdem nicht. Dass Spanien den Titel geholt hat, ist absolut gerecht. Die EM-Kolumne, Teil 22.

Ein wenig war die Luft ja raus aus dieser EM, nachdem sich Deutschland im Viertelfinale gegen Spanien verabschieden musste. Das restliche Viertelfinale verlief noch unter dem Eindruck der Enttäuschung und ab dem Halbfinale war bei vielen eine emotionale Distanz zu diesem Turnier hergestellt. Als am Sonntag das Finale gespielt wurde und damit vier Wochen Europameisterschaft beendet wurden, lag da in gewisser Hinsicht Erleichterung in der Luft: Es ist gut, dass es vorbei ist. 

Das Turnier fand mit dem Finale einen angemessenen Abschluss und mit Spanien einen würdigen und völlig verdienten Europameister. Die Kicker von der iberischen Halbinsel haben den besten Fußball gespielt und, bislang einmalig für einen Europameister, alle Spiele des Turniers gewonnen. Die Fortentwicklung vom extremen und in seiner Perfektion oftmals als langweilig empfundenen Ballbesitzfußball zu einem variableren Stil, dessen Grundlage weiter die Ballkontrolle gepaart mit herausragend funktionaler Technik und schlauem Positionsspiel ist, ist beeindruckend.

Die Art und Weise, wie sich in England ins Finale gemogelt hat, lässt alle Heldengeschichten zerplatzen

Selten hat es eine Mannschaft gegeben, die den Turniersieg in allem Belangen so verdient hat, wie Spanien bei der Euro 2024. Und auch wenn man das Finale in Berlin isoliert betrachtet, so haben die Spanier dieses Spiel verdientermaßen gewonnen. Die Engländer waren zwar längst nicht so passiv und auf Sicherheit fokussiert, wie in fast allen Phasen des Turniers zuvor, aber Spanien gab den Rhythmus vor. Spanien hatte, mit Ausnahme einer ganz kurzen Sequenz nach dem Ausgleich der Engländer, alles vollkommen im Griff. 

Während Spanien triumphiert, hängt über den Engländern ein riesengroßes Fragezeichen. Ja, sie sind ins Finale gekommen und dort an der besten Mannschaft knapp gescheitert. Das ist aller Ehren wert. Aber die Art und Weise, wie sich England ins Finale gemogelt hat, lässt alle Heldengeschichten zerplatzen. Der Ansatz, zunächst einmal sicher und kontrolliert zu agieren, Rationalität vor Spektakel zu stellen und dann auf Geistesblitze der individuellen Ausnahmekönner zu setzen, ist nicht verwerflich. Die Franzosen praktizieren das seit Jahren, aber auch sie stoßen an ihre Grenzen, wie man es nicht zuletzt bei dieser EM beobachten konnte. 

Die Hereingabe von Cucurella war ein Kunstwerk

Die Engländer haben bei dieser Europameisterschaft die Handbremse immer nur dann etwas gelöst, wenn es absolut unumgänglich war. So war es auch im Finale, als man sich dem entscheidenden 2:0 der Spanier entgegenstemmte und selbst auf den Ausgleich drängte. In diesen Phasen wurde deutlich, welche Wucht und Vehemenz diese englische Mannschaft entwickeln kann, wenn man sie lässt. Der Ausgleich war, auch wenn durch einen abgefälschten Schuss, das Resultat dieses kurzzeitigen ‘Boosts’. Die nächsten vier bis fünf Minuten wackelte Spanien und das Spiel stand einen Moment tatsächlich auf der Kippe. 

Doch die Engländer schienen Angst vor der eigenen Courage zu bekommen und Spanien fuhr einen in seiner Einfachheit perfekten Angriff. Diese Hereingabe von Cucurella war ein Kunstwerk und die Entschlossenheit von Oyarzabal grandios. Und trotzdem wurde in den verbleibenden Minuten nochmals deutlich, dass Spanien nicht unverwundbar ist. Die Rettungstat von Olmo auf der Linie wurde von den Spaniern zurecht gefeiert wie ein eigenes Tor. Die Engländer hatten in diesem Moment Pech, aber ihnen wurde gleichzeitig vor Augen geführt, dass mit etwas mehr Mut vielleicht doch mehr drin gewesen wäre, als erneut titellos zu bleiben. 

Für Deutschland wurde etwas auf den Weg gebracht, das in die richtige Richtung gehen könnte

So aber durften die Spanier den EM-Pokal in den Berliner Nachthimmel heben, das Feuerwerk über dem Stadion genießen und zum obligatorischen ‘We are the champions’ über den Rasen hüpfen. Die Europameisterschaft in Deutschland hat einen verdienten Sieger gefunden und Spanien hat mit seinem Fußball ein echtes Statement abgegeben. Aus deutscher Sicht bleibt die Erkenntnis, dass etwas auf den Weg gebracht wurde, das in die richtige Richtung gehen könnte. Ob es wirklich gelingt, kann niemand vorhersagen. Aber den Versuch ist es allemal Wert und Julian Nagelsmann und sein Team haben Vertrauen und Unterstützung verdient.

Gleichzeitig ist es im Sinne des Fußballs, dass die Passivität und überbordende Vorsicht der Engländer und Franzosen, aber auch über weite Strecken der Niederländer, letztlich nicht zum Erfolg geführt haben. Insofern kann man einen Strich unter diese Europameisterschaft machen: Sie war zu Beginn der Vorrunde oftmals erfrischend, wurde dann in gewissen Phasen etwas zäh und als sich die berechnend spielenden Teams mehr und mehr durchsetzten, auch ärgerlich. Deutschlands Ausscheiden war emotional, aber schlussendlich hat sich die beste Mannschaft den Titel gesichert. Die Europameisterschaft war sportlich ein hochwertiges Turnier - aber es reicht jetzt auch und es ist gut, dass es vorbei ist. 

 

von Marc Basten

 

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