Es sei ein »sehr ernüchternder Abend«, sagte ein sichtlich enttäuschter Eugen Polanski im Anschluss an die Partie in Berlin. Eine gewisse Verzweiflung beim Trainer ist nachvollziehbar – wurde seine Mannschaft doch exakt mit den Mitteln geschlagen, die man im Vorfeld zur Genüge angesprochen hatte. Das Phänomen, Niederlagen mit Ansage zu kassieren, konnten auch Polanskis Vorgänger weder erklären noch beseitigen. Nun muss Polanski diese bittere Erfahrung ebenfalls machen.
»Vielleicht sind sie zu leise als Charakter«, sinnierte der 39-Jährige. Er und sein Trainerteam müssten daher wohl noch »klarer definieren, wie wir ins Spiel gehen«. Das Problem: Die Situation erlaubt es nicht, dass sich der Trainer herantastet und Schwachstellen nach und nach erkennt. Es braucht Maßnahmen, die sofort greifen, um den immer dynamischeren Abwärtsstrudel zu stoppen. Deshalb ist es so fatal, dass man bei Union, die Fußball der Kategorie „Karo-einfach“ spielen, letztlich chancenlos war.
»Es hat schon viel mit Mentalität zu tun«
Schon die Entstehung des Eckballs vor dem 0:1 nach zwei Minuten ließ erkennen, wie es um die Überzeugung der Spieler bestellt war. Scally war desorientiert und überfordert zugleich. Bei der Ecke ließ Elvedi seinen Gegenspieler Doekhi ziehen, weil er nur auf den Ball schaute und beim Kopfball ein schlechtes Timing hatte. Reitz war genauso überfordert gegen Diogo Leite, der ungehindert hochsteigen konnte. Auch Friedrich fehlte die letzte Entschlossenheit und Dynamik, um noch rechtzeitig ins Kopfballduell zu kommen.
»Es hat schon viel mit Mentalität zu tun«, sagte Polanski in Bezug auf die Anfangsphase, in der seine Mannschaft den Grundstein für die Niederlage legte. In der Phase, als man sich etwas gefangen hatte, fiel das zweite Berliner Tor. Auch dies war nicht herausgespielt, sondern resultierte aus einem technischen Fehler bei der Ballannahme von Neuhaus nach einer geklärten Freistoßflanke. Neuhaus flipperte der Ball so unglücklich vom Fuß, dass er zur Vorlage für Ansah wurde. Sein Nachsetzen blieb wirkungslos, Scally und Elvedi zögerten zu lange, und Elvedi grätschte schließlich zu spät. Auch Friedrich fehlte die Körperspannung, um beim Rebound von Doekhi nach dem Pfostentreffer zu reagieren.
Harmlos in der Offensive
Nach der komfortablen Zwei-Tore-Führung zog sich Union noch stärker zurück und lauerte auf Konter. So hatten die Borussen zwar viel Ballbesitz und einige ansprechende Spielzüge, doch bis auf den Anschlusstreffer durch Tabaković, den Engelhardt hervorragend vorbereitete, sprang nichts Zählbares heraus. Es fehlte einmal mehr der Punch. Nach der Pause verteidigten die Gladbacher zwar intensiver, kamen jedoch kaum gefährlich nach vorne. Das änderte sich erst nach dem Vierfachwechsel, als besonders Honorat über die rechte Seite Dampf machte.
Doch gute Flanken und Hereingaben verpufften, weil die Abnehmer fehlten. Polanski kritisierte zu Recht das Einlaufverhalten in den Strafraum – das war unzureichend. So gab es nur eine nennenswerte Chance für Tabaković, ehe nach 81 Minuten der endgültige Knockout folgte. Wieder ein Standard, abermals ein zweiter Ball für Union – und erneut zahlreiche Gladbacher, die nicht auf der Höhe des Geschehens waren und bedröppelt dreinschauten, als Khedira den Sack zuschnürte.
Abstiegskandidat Nummer eins
Es war trostlos und enttäuschend zugleich, was Borussia zeigte. Anders als bei ähnlich gestrickten Niederlagen in Berlin kann man den Gladbachern diesmal keine Pomadigkeit oder Selbstüberschätzung vorwerfen. Der Wille war erkennbar, doch die Mittel fehlen. Wer immer noch glaubt, dass die individuelle Qualität dieser Mannschaft zu groß ist, um abzusteigen, dem ist nicht mehr zu helfen. Die Tabelle lügt nicht, und die schmachvolle Sieglos-Serie zeigt: Borussia Mönchengladbach ist in dieser Verfassung der Abstiegskandidat Nummer eins.
von Marc Basten